Die Nachdrücklichkeit, mit der das Individuum Milutin dargeboten wird, ist augenscheinlich. Zweifel über die Verweisfunktion zwischen dem Bau und dem Modell kommen nicht auf. Die Vielschichtigkeit der Bildfunktion wird über den Gesamtzusammenhang erkennbar.
In eben diesem Raum wird nicht nur der eschatologische Charakter anhand einer Darstellung des Jüngsten Gerichts angesprochen, sondern mit dem Nemanjidenstammbaum, einer innovativen Bildfindung, die auf dem Prinzip der Wurzel Jesse beruht, ein Bild seiner Dynastie in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entworfen. [21] Die politisch-historiographische Dimension dieser Stifterbilder ist damit im weitesten Sinne akzentuiert. Der Stifter und sein Modell sind zudem auch ein Dokument, das im Bildsystem in eine auf Zukunft ausgerichtete Herrschaftsvorstellung integriert ist. Dieser dokumentarische Aspekt zeigt sich überdies in der Verfasstheit des Herrscherbildnisses, das mitnichten einem Idealkonzept verpflichtet ist. Im Gegenteil: die Wiedergabe vor allem des Kopfes erlaubt es, das Bild als Portrait zu bewerten. Der schmale Schädel mit kräftigen Backenknochen, die schmale, längliche Nase, kennzeichnende Mundwinkel sind als bestimmbare körperliche Merkmale ausgewiesen. [22] Der Anspruch, den König mit einem an der Realität gewonnenen Bildnis zu verewigen, wird umso deutlicher, setzt man dieses Beispiel mit seinen zeitlich vorhergehenden in Bezug, wie demjenigen etwa in der kleinen Kirche im Kloster von Studenica, Sveti Joakim i Ana, 1312/13 datiert, und demjenigen der Georgskirche von Staro Nagoričino, deren Ausmalung 1317/18 abgeschlossen war. Die physischen Veränderungen, die sein Bildnis im Laufe seiner Stiftungen widerfährt, lassen den Alterungsprozess nicht allein über die Haarfarbe (von dunkelbraun zu weiss) oder die Bartlänge erkennen, sondern auch in den markanter werdenden Gesichtzügen. Ein gleiches Augenmerk hat seine Malerwerkstatt auf die Architekturmodelle gelegt, die darauf zielen, die divergierenden Bautypen jeweils angemessen bildlich vorzuführen. Der Grad der Präzision, mit der diese Umsetzung erfolgt, mag dabei nicht zuletzt auch dem Umstand geschuldet sein, dass eine einzige Werkstatt ihn über einen Zeitraum von ca. 30 Jahren begleitet hat. Dennoch – all diese Phänomene vermögen nicht darüber hinweg zu täuschen, dass ein Realitätsanspruch neuzeitlicher Prägung dem Bild gänzlich zuwider laufen würde.
Dem Bild ist unbedingt auch eine prospektive Dimension eingeschrieben: der Stifter führt seine Stiftung vor, um am Ende aller Tage dafür entsprechend entlohnt zu werden; die historiographische Ebene wird damit jedoch nicht getilgt. In welcher Weise das Architekturmodell an das Portrait des Stifters gebunden werden kann, wie sehr historische Ereignisse eine Anpassung, Aktualisierung von Bildern erfordern und damit ihren Anspruch als historische Dokumente hervorkehren, lässt sich an der Kirche von Dečani erkennen.