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Das Wirken des Virus zeichnet sich vor allem durch Komplexität, Unüberschaubarkeit, Gestaltlosigkeit und Unkontrollierbarkeit aus. Und dennoch zeugen diese chaotisch anmutenden Zustände von der Effizienz und Mächtigkeit einer Architektur, die menschlichen Organisationsformen und Ordnungsvorstellungen zum Teil überlegen zu sein scheint. Es ist genau diese semantische Mehrdeutigkeit der visualisierten Motaba-Viren, diffuses Feindbild und modellhaftes Vorbild zu sein, die Outbreak zu einer (auch soziologisch) bemerkenswert komplexen filmischen Textur macht, in der konkurrierende Ordnungsmodelle sowie divergierende politische Rationalitäten und Aktionsformen gegenübergestellt werden. Daniels sieht in der viralen Feindgestalt nicht das schlechthin Andere und maximal Fremde, sondern ein Element, von dem her die eigene Sozialordnung neu bestimmt werden kann und muss. Er erkennt den Modellcharakter der von den Motaba-Viren repräsentierten zentrumslosen Sozialorganisation an und macht Flexibilität zu seinem Handlungsprogramm.

Möglich wird diese temporäre Identifikation durch eine Folge von Transformationen, die mit der Visualisierung eines Modellorganismus durch die Gruppe um Major Daniels beginnt. Mit der Validierung der Visualisierungen und ihrer Verknüpfung mit anderen ‹Fakten› werden diese in visuelle Modelle des Motaba-Virus transformiert und von ihrem Bezugsobjekt autonomisiert. Schliesslich folgt die Geburt Mr. Motabas als Folge einer Anthropomorphisierung des Visuellen durch Major Salt. Alle aufgezählten Transformationen sind an das ambivalente Potential der ursprünglichen Visualisierung gebunden, die wesenhaft zwischen Bild und Modell changiert und deren Potential in sozialen Bezeichnungsoperationen aktiviert wird. Aus der Dunkelheit ins Licht geholt wird das einstmals so Fremde für Artikulationen zugänglich, die ihm einen Platz im Gefüge des Sozialen zuweisen. Das Gegenüber ist enttarnt und wird damit zur Figur der Grenze des Eigenen. Ob Freund oder Feind – die jeweilige Charakterisierung ist situationsabhängig. Daniels macht sich das Virus im Film zum Vorbild und übernimmt bestimmte Handlungsmuster. Er verhält sich in entscheidenden Punkten allerdings auch anders als das Motaba-Virus, das im Grunde ein recht erfolgloses Virus ist. Dank seiner hohen Effektivität richtet es seine Wirtssysteme viel zu schnell zu Grunde, um sich erfolgreich auszubreiten. Daniels hingegen will das System nicht vernichten; er ist in vielen Punkten sogar eine perfekte Verkörperung von dessen grundlegenden Werten: Korrektheit, Hingabe zur Arbeit, Gerechtigkeitssinn und Loyalität. Um das System von seiner Krankheit zu befreien wendet er eine Strategie an, die aus der Krebsforschung bekannt ist: die Abtötung von Krebszellen durch Einschleusung von Viren. Daniels erteilt damit eine weitere Lektion: Wenn das System wuchert, können Viren der Schlüssel zur Normalisierung sein.

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