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Der Brockhaus Wahrig bietet die Synonyme «Vorbild, Muster, Urform, musterhaftes Beispiel» an und führt Modell als eine Darstellung aus, «die nur die als wichtig angesehenen Eigenschaften eines Vorbildes in übersichtlicher Form ausdrückt». [51] Angewandt auf das Modell der Bewegungsfigur zeichnet sich diese durch eine Übersicht der Zusammenstellung massgeblicher Faktoren der Proportion und Bewegung aus, die ihre Bedeutung erst in der spezifischen Selektion sichtbar werden lässt. Das Konzept des Modells lässt sich «allgemein als konkrete, wegen ‹idealisierender› Reduktion auf relevante Züge, faßlichere oder leichter realisierbare Darstellung unübersichtlicher oder ‹abstrakter› Gegenstände» umschreiben. [52]

Über den lateinischen Ausdruck «modulus», auf dem der Begriff Modell beruht, ist auch das Diminutivum von «modus», das Mass, mit im Spiel, denn einerseits benannte in der Antike der modulus die ideale Proportion eines Gebäudes, andererseits war damit ein umfassendes, universales Mass gemeint: Das Mass sollte in seinen Symmetrien im Mikro- wie im Makrokosmos, im Kleinen (dem Menschen) wie im Grossen (der Welt) seine Umsetzung finden. [53] Insofern stellt die Suche nach einem gültigen Modell des Menschen in seinen Proportionen und Bewegungen einen wichtigen Fluchtpunkt der Proportionsstudien dar. So liesse sich resümieren, dass Modelle ein Mittel darstellen, um «Gesetze greifbar und begreifbar zu machen» [54] und so den jeweiligen Kanon der Proportionslehre veranschaulichen. Dies wiederum heisst auch, dass Modelle auf ihren jeweiligen Kontext bezogen sind und der Gebrauch in der praktischen Anwendung der Zeichenkunst die Modelle überhaupt erst als solche ausweist und fruchtbar macht. Als Instrumente sind sie für den Künstler eine Hilfestellung für die praktische Konstruktion (Umriss- und Strukturmodell) und ideelle Umsetzung (Erinnerungs- und Sinnbilder) der Entwurfszeichnung. Paradoxerweise ist es die abstrakte Darstellung des Menschen, die als konkrete Figur spezifischere Bedeutungen der Strukturen offenlegt. Erst mit der abstrakten Figurendarstellung werden anschauliche Phänomene, die der Wahrnehmung eines natürlichen Bewegungsablaufs entgleiten, konstruktiv vor Augen gestellt. Hierbei begründen sich die Strukturen je nach Hervorkehrung der Merkmale jeweils als Modelle des Menschen in Proportion, Mass und Bewegung und ihrer wechselseitigen Verschränkung. Gerade in ihrer Anschaulichkeit offenbart sich die Beschreibung der abstrakten Darstellung des Menschen daher als schematisches wie modellhaftes „Bild“ der Proportion und Bewegung. Diese Verwendung des Bildbegriffs geschieht auch in Anlehnung an den freien Gebrauch der Begriffe wie «pildnus» (f. A3r) «figur» (f. V1v), «bild» (f. A3r), «pild» (f. A2r), «gestalt» (f. A5v), «wolgestalt» (f. E5r), die Dürer in seinem Buch über die menschliche Proportion zur Beschreibung seiner Konstruktions- und Darstellungsverfahren anwendet.

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