>>
[18]

Ebd., S. 17.

 

Aufgrund dieser Variabilität führt die gestische Geschichtsschreibung – sei es, weil die Ausführungen zu knapp oder die Begrifflichkeit zu unklar sind – immer wieder zur Schwierigkeit, dass sie historische Situationen isoliert beschreibt, den Ab- und Vergleich mit anderen Gegebenheiten jedoch oftmals der Leserschaft überlässt. Wenn sich nicht gleichsam eine gestische Leseweise einstellt, stehen spezifische Vorgänge wie «Entbildlichung» als «Tendenz zur Grenztransparenz» scheinbar losgelöst von anderen Vorgängen, in denen beispielsweise eine intensive Bildproduktion ebenfalls mit dem «ambivalenten» Stichwort «Transparenz» zusammenfallen, wie an der US-Südgrenze.

Teilweise stellt sich der Eindruck von verallgemeinernden Aussagen ein, die aber sehr spezifische Situationen betreffen. Insofern wäre eine schärfere, vielleicht ausführlichere Unterscheidung der Begriffs- (und Handlungs-!) Ebenen der Sache dienlich gewesen. Zwar scheint mir in der Arbeit die Differenzierung angelegt, den Komplex ‹Evidenz – Transparenz – Opazität› den sozialen Geltungsbereichen medialer Reproduktionsmuster zuzuordnen, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit hingegen als Referenzen auf die visuelle Ordnung in situ zu verstehen. Narrativ aber wurde diese Unterscheidung nicht konsequent realisiert. So fällt die Evidenz ermöglichende Transparenz unversehens mit Unsichtbarkeit zusammen, obschon (Grenz-)Evidenz einleitend als Herstellungsprozess definiert wird, bei dem sich «ein Gefühl des Überzeugtseins und der Gewissheit» einstelle, in dessen Folge «das Evidente als das Notwendige» erscheine, [18] was – wie Falk selber unterstreicht – nicht strukturell mit visueller Sicht- bzw. Unsichtbarkeit verbunden ist.

Geste und Respekt

Diese Exploration der Grenze(n) jedoch einzig an gelegentlichen Unschärfen zu messen, würde ihr weder formal noch inhaltlich gerecht. Falk unternahm mittels des erst wenig erprobten, bildkritischen Rüstzeugs das Wagnis, Wege der Darstellung zu begehen, die, disziplinär betrachtet, alles andere denn evident sind. Ihre gestische Geschichte ist keine ausschliesslich methodisch interessierten Bildkritik, sondern genauso sehr eine politische.

Gestik gilt, in Form der sublimierten ‹Geste›, auch als Zeichen der Besonnenheit und Wertschätzung. So verstehe ich die Gesamtkonzeption von Falks Arbeit vor allem auch als Geste des Respektes jenen gegenüber, die ihre Objekte hätten werden können; Menschen, die systemisch infame Subjekte sind, qua Dasein strengsten Gesetzen und Zwangsmassnahmen unterworfen, Gegenstand symbolischer und praktischer Grenzziehungen.

<<  Ausgabe 03 | Seite 164  >>