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N.M.: Die geübte Geste kann redundant werden, und es ist ein bestimmtes Kunstwollen darin. Man hat es geübt und fast wie in der Konserve vorrätig, die Spontaneität wird fragwürdig. Das anfangs zitierte «as little Art as possible» könnte hier sehr hilfreich sein. Damit man eben nicht in einer manierierten Kunstgeste erstarrt. Ich stehe diesen sich wiederholenden, individuellen Gesten eher misstrauisch gegenüber. Den so genannten «Selbstausdruck» muss man kritisch betrachten, aber dennoch entwickeln. Wir alle sind Ergebnisse unterschiedlichster Voraussetzungen und Einflüsse. Wir haben alle eine DNS-Schlaufe, unsere Kindheit, unsere kulturellen Einflüsse usw. Die Kultivierung des Selbst ist fragwürdig, das «Eigene» muss man mit Skepsis betrachten, besonders in einer Zeit, die massenweise Bilder und auch Klischees bereitstellt. Gerade darum aber muss man an den eigenen Ausdrucksformen arbeiten. Die Reibung mit dem, was die Umgebung uns bietet, ist dabei wichtig, um herauszufinden, wo man steht und was einem wesentlich ist. Ausdruck und Haltung sind nicht voneinander zu trennen.

T.H.: Was Sie «Selbstausdruck» nennen, nutzt sich ab, da die Vielfalt einfach früher oder später fehlt. Redundanz führt zwangsläufig zu Langeweile, zumindest in den meisten Fällen. Ihr mannigfaltiges zeichnerisches Werk, aber auch der Ansatz von Dieter Roth, über den wir am Anfang gesprochen hatten, gehen da einen anderen Weg. Das Zeichnen wird dann als eine Praktik des Auffächerns, Eröffnens und Vervielfältigens verstanden. Am Ende steht Komplexität und Mannigfaltigkeit. Nicht die immer gleiche Geste und Konzeption, die höchstens der Kunstmarkt schätzt und eine klassifikatorische Geschichtsschreibung begünstigt.

N.M.: Alles, und natürlich auch ich, ist begrenzt, aber damit muss ich eben hantieren, und gerade das ist die Herausforderung. Ich habe gedankliche Interessensfelder und begrenzte Fähigkeiten. Ich suche auch Widerstände, will mich nicht nur in Varianten wiederholen und machen, was mir leicht fällt. Dort, wo Widerstände sind und die Krisen lauern, gibt es fast immer auch eine Erkenntnis. Das erwähnten Sie bei John Berger.

T.H.: Wir könnten nun vielleicht dieses Begriffsfeld: Krisis, Widerstand, Fehler, Unschärfe ein wenig sondieren. Dass es Ihnen wichtig ist, und womöglich generell das produktive Moment der Zeichnung zu erklären hilft, wurde bereits deutlich.

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