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Man muss aufpassen, denn wenn man etwas zu gut beherrscht, besteht die Gefahr, dass die Zeichnung tot, seelenlos, langweilig, glatt und schlimmstenfalls geschmäcklerisch wird. Zeichnend muss man auf der Suche bleiben, das Holprige, Sperrige oder nicht Gekonnte kann dabei eine Qualität sein. Es gibt allerdings auch das, was ich als «neue Unbeholfenheit»  bezeichne, eine beabsichtigte Ästhetik, in der das Linkische nicht passiert, sondern kultiviert und bewusst zum Stil erhoben wird.

T.H.: Eine «Ästhetik des Linkischen»? An wen denken Sie dabei?

N.M.: Im positiven Sinne an David Shrigley oder Dan Perjovschi, die ja beide auch stark politisch arbeiten. Beide sind auch vom Denken her interessant. In den siebziger Jahren, während meines Studiums, gab es die Prämisse: «As little Art as possible». Das entspricht der Haltung von Shrigley und Perjovschi. Bezogen auf ihre Inhalte ist ihre Art zu zeichnen stimmig, überzeugend und kraftvoll. Aber es gibt im Schlepptau eine ganze Menge von Leuten, die eine Unbeholfenheit als Stil pflegen, ohne jede inhaltliche Anbindung. Das Linkische ist hier nicht mehr Spur oder Ausdruck einer Suche, sondern eine Stilentscheidung. Das muss man differenzieren. Der junge Twombly z.B., der sich von Graffiti in Rom inspirieren liess, hat das «Unkultivierte», die Kritzelei hoffähig gemacht. Das war damals ganz neu und auch mutig.

T.H.: Worin sehen Sie die Gefahr, die eine Redundanz des Linkischen mit sich führt?

N.M.: Stil ist eine bestimmte Ästhetik, die sich durch die Arbeit selbst in einem jahrelangen Prozess allmählich herauskristallisiert, aber nicht «vorgeschaltet» werden kann. Wer zeichnet, weiss um die Schwierigkeiten und Gefahren, die das Zeichnen mit sich bringt. Jeder Zeichner, jede Zeichnerin, erarbeitet sich einen anderen Zugang und Ansatz und forscht auf eigene Art mit und in diesem Medium. Die Zeichnung ist ein riesengrosser, ausdifferenzierter Kosmos. Dazu kommt, dass man erst in der Praxis, also durch das Tun herausfindet, was es mit dem Kern auf sich hat, um den man zeichnend kreist. Mir war das nicht von Vornherein klar. Zu Anfang faszinierte mich die Unmittelbarkeit, das Hineinspringen in einen weissen Raum ohne grosse Vorbereitungen, das entsprach meiner Ungeduld und inneren Unruhe.  Dazu kam, dass Zeichnen, Denken und Schreiben ähnliche, verwandte Tätigkeiten sind. Nicht zuletzt auch aufgrund der Rhythmik. Und da ist wieder der Bezug zur «Händigkeit». Rhythmus ist etwas Körperliches, wir atmen, wir gehen. Für mich ist das Zeichnen immer auch eine rhythmische Angelegenheit. Das hat auch mit der Musik zu tun.

<<  Ausgabe 03 | Seite 137  >>