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Die linke Hand wird sich während der gesamten Filmdauer im Off bewegen. Die rechte Hand gestaltet hingegen das Geschehen, entwirft die Komposition und tanzt in einer Weise über dem Blatt, wie es einige Jahre später auch Merleau-Ponty angesichts einer Zeitlupenaufnahme des zeichnenden Matisse beschreiben wird. [19]

Inszenierte Cürlis so also nicht auch unbewusst eine ganz unvollständige Einseitigkeit? Eine Händigkeit der einen schaffenden Hand, die ihre singuläre Pluralität nur in den vielen genialen Händen – der Corinths, Kandinskys, Liebermanns usf. – aufweisen sollte. Die Inszenierung dieser genialistischen Einhändigkeit wird in Clouzots Le Mystère Picasso (1955) ihren filmhistorischen Höhepunkt finden, und sie bestimmte selbst noch das Verständnis einer virtuosen Beidhändigkeit.

Bekanntlich gab und gibt es Zeichner – Adolph Menzel ist vielleicht das prominenteste Beispiel –, die mit beiden Händen geschickt zu zeichnen vermochten und vermögen. Dass dieses Phänomen als Ambidextrismus bezeichnet wird, verweist auf jenes alte Vorurteil, wonach Geschicklichkeit und Orthographie nur rechts zu finden wären. Wer beidseitig geschickt ist, muss diesem Vorurteil zufolge in gewisser Weise zwei rechte Hände haben, ambidexter sein. Wer hingegen ganz ungeschickt ist, von dem sagen wir, er habe zwei linke Hände. Robert Hertz, Adriano Sofri oder Roland Barthes haben wichtige Gedanken für eine Kulturgeschichte der linken (oder linkischen) Hand gesammelt. Ihre soziopolitische Dimension ist für eine Theorie der Zeichnung keineswegs irrelevant, wenn erst einmal erkannt ist, dass Hände immer schon nach Kriterien unterschieden wurden, die von einer bildnerischen Technik allein nicht unmittelbar abgeleitet werden konnten. [20]

Der Begriff der Händigkeit der Zeichnung lenkt unsere Aufmerksamkeit also auf eine gewisse Spaltung und auf die Geschichte oder den Mythos dieser Spaltung. Keine(r) von uns hat vergessen, dass der in Platons Symposion erzählte Mythos vom Kugelmenschen nicht mit der Feststellung endet, dass die Menschen Halbkugeln sind, jeder die eine Hälfte eines auseinander gebrochenen Symbolons, das nach Ergänzung durch das andere Teil begehrt. Der Erzähler, Aristophanes, fügt noch etwas hinzu: Er warnt vor der Möglichkeit einer weiteren Spaltung, bei der wir entlang der Vertikalachse unserer Körper aufgespalten oder zerschnitten würden (Symposion, 193). Hätte er vor dieser zweiten Spaltung warnen können, wenn sie nicht in gewisser Weise bereits geschehen wäre? Gespaltene Wesen sind wir nicht nur im Hinblick auf das Geschlecht, sondern auch mit Bezug auf die Trennung von links und rechts. Zu fragen wäre, ob und wie sich die Zeichnung zu diesen Spaltungen verhält, nach welcher Seite sie tendiert, ob sie die Spaltungen bezeichnet und verstärkt oder, wie wir es im Bezug auf die philosophische Separierung von Körper und Geist angedeutet haben, auf ihre Problematisierung oder Aufhebung hinarbeitet.

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