Man kann eine elementare Antwort geben. In seiner Kernbedeutung ist ‹Bild› dasjenige, was durch einen Bildbewusstseinsakt die Vorstellung dazu bestimmt, sich als Bild zu wissen. Das ist eine seltsame, fast tautologische, in jedem Fall aber rekursive Definition, die zudem den Terminus ‹Bildbewusstsein› [7] benutzt. Die Definition ist zugleich voraussetzungsreich, ihr ist insbesondere schon die doppelte Unterscheidung eingeschrieben. [8] Das Gegebensein des Bildes verdankt sich zwar der Aktivität eines Bildträgers, aber als Bild ist es nicht der Bildträger, es ist von ihm zu unterscheiden. Seiner wesentlichen Natur nach bleibt ein Bild dasselbe Bild, wenn wir es als Bild auf dem Computerbildschirm, als Bild in der Diaprojektion, als Bild auf der Postkarte oder als Bild auf dem sogenannten Original betrachten. – Zweitens ist das Bild nicht der Bildgegenstand. Für das Bildbewusstsein gibt es die magische Präsentifikation des Bildgegenstandes nicht. Ebenso verweist der Bildgegenstand nicht von vornherein auf ein Referenzobjekt (es ist nicht die primäre Bildfunktion, dass das Dargestellte auf Referenzobjekte verweist; aber natürlich liegt ein Verweisen im Bereich der Möglichkeiten von Bildern). [9]
Dieser doppelte Negationsakt muss im Bildbewusstsein vollzogen werden, um beides: eine Vorstellung und gegebenenfalls einen bildgebenden Gegenstand zum Bild zu bestimmen. Dieser Bestimmungsakt, der nicht ein cogitans sum spricht, sondern das Bewusstsein auf die Zueignung seiner Vorstellungen als Bild hin ausrichtet, mag durch bestimmte äussere Gegenstände – die man vorkritisch auch gerne ›Bilder‹ nennt – angestossen werden, aber er muss gleichwohl einer eigenen Aktivität entspringen. Diese Aktivität hat eine komplexe, tendenziell paradoxe Struktur. Sie wird hier Zeige-Sprech-Szene genannt und als die Explikation und pragmasemiotische Fundierung des Terminus ‹Bildbewusstsein› verstanden.
Wenn wir vor einem Gemälde stehen, dann vollziehen wir eine Deixis (Zeigen). Sie mag in der tatsächlichen Handbewegung des Zeigens bestehen oder sich in die intentional formierte Ausrichtung des Sehstrahls, der Augenbewegung, zurückgezogen haben, vielleicht sogar in die Intentionalitätsstrahlen des Semantischen (Schlotters Radierung scheint zwischen Blick und semantischer Bahn keinen Unterschied zu machen). Zugleich aber verständigen wir uns über das per Deixis Gezeigte durch die Rede. Das Sprechen kann dabei ein tatsächliches Sprechen in Gegenwart anderer sein oder, häufiger, das innere Sprechen (Humboldt), mit dem wir uns in uns selbst über das verständigen, was sich manifestieren soll. Das innere Sprechen kann zudem die Spur des Gelesenen sein, z.B. die innere Sprache einer Schmidt/Raabe-Lektüre, das plötzliche Aufscheinen des semantischen Universums, welches jenen Raben überhaupt erst gibt.