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Genau betrachtet, hat das Sprechen – diese internalisierte Instanz der Rede zu anderen – in diesem sehr weiten Sinne von Sprache die Funktion, die doppelte Unterscheidung zu vollziehen. Denn das durch das Zeigen fokussierte Gesehene ist nicht schon das Bild. Was sieht man schon, wenn man drei unbekannte Gesichter in einem rabenähnlichen Umriss erblickt? Und würde man das Bild tatsächlich gesehen haben, wenn man nur die Portraits hat identifizieren wollen? Man muss hier sagen, was man meint, wenn man zeigt. Es muss unterschieden werden. Es musste hier die Logik der Zeige-Sprech-Szene angedeutet werden, die Kryptonymie der Radierung, die Überkreuzung der Blicksemantiken schon im Bild. Nicht ein gezeigter Gegenstand ist als dieser Gegenstand gemeint, sondern das Gemeinte als das Bild dieses Gegenstandes. Diese meist innere Selbstverständigung oder auch (seltener) äussere kommunikative Verständigung vollzieht die doppelte Unterscheidung und spricht damit dem Gesehenen einen Logos zu, der die Differenz zwischen realer und artifizieller Präsenz etabliert.

So gegenwärtig ein Bild auch sein mag, es kann als Gegenstand nur der Gegenstand eines Meinens sein, sonst wäre es kein Bild einer komplexen kryptonymischen Kette, sondern im Zeichen des Raben formierte Portraitgraphik, als oberflächige Anagrammatik des Autornamens. Das Sehen kann dies nicht sehen, es muss es wissen.

Das Gemeinte, also das Bild, resultiert aus Operationen der Unterscheidung. Die Szene, in der in bildkritischer Weise Sehen, Sprechen und Meinen einander gegenseitig einschränken, so dass das Sehen unterscheiden, das Unterscheiden sehen und das Meinen die Synthese beider sein soll, ist die Szene des Bildbewusstseins. Geht die Katze am Gemälde vorbei, ohne ein Bild zu sehen, wird ein Mensch, sofern er auf das Bild aufmerksam wird, sich auf es beziehen (Zeigen, Deixis), die Unterscheidung treffen, nicht den viereckigen Gegenstand aus Leinwand mit Farbauftrag zu meinen, sondern das dadurch Gesehene und sich dies zusprechen. Dadurch bestimmt sich seine Vorstellung von einem Gemälde zu dem Bild, das durch das Gemälde gegeben werden kann. Deiktischer Bezug, Vollzug der Unterscheidung, inneres sich Zusprechen des Gemeinten als Bild: Diese Zeige-Sprech-Szene erzeugt für uns das Bild.

Der zeichentheoretisch geschulte Blick erkennt hier die pragmasemiotische Trias [10] von Subjekt, Objekt und Interpretant (gleichwohl ist das Bild kein Zeichen). Es ist mitnichten so, dass ein einzelnes Subjekt je ein Bild sehen könnte. Folgt man Tomasellos Szene der geteilten Aufmerksamkeit, [11] dann entsteht ein Wahrnehmungsmodell, in dem Ego etwas sieht, weil es sieht, wie Alter etwas sieht (Schlotter sieht wie Schmidt sieht wie Raabe sieht).

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