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Es geht also nicht um das Sehen als isoliertem physiologischen Vorgang des Auges, sondern um eine innere Visualität, um eine sich selbst bewusst werdende Prägnanz der Anschaulichkeit anlässlich einer Vorstellung, selbst wenn sie nicht von Sehsinn induziert wäre.

Ein solcher Bildbegriff, der ein internes Zeigen, ein internes Zusichselbstsprechen und eine interne Intentionalität auf das Bild (Bildbewusstsein) in sich aufnimmt (Zeige-Sprech-Szene) [16] und dies mit einer Theorie der ursprünglich synästhetischen Sinnlichkeit verknüpft, wird hier kritisch genannt. Denn er löst sich durchaus im Sinne einer kopernikanischen Wendung vom vorkritischen Konzept eines objekthaften Vorhandenseins von Bildern und fragt nach den Wahrnehmungsbedingungen. Er löst sich von der Vorherrschaft des Sehens und gewinnt eine Idee von Bildlichkeit, die nicht dem Auge allein verhaftet bleibt.

Ein solcher bildkritischer Bildbegriff kennt einen nicht nur sekundären, sondern primordialen Zugang zu den Phänomenen der inneren Bildlichkeit und – damit nicht zu vermengen – der sprachlichen Bildlichkeit. Bildkritik verdient dann ihren Namen, wenn sie es ernst meint mit der Kritik des Bildes und ebenfalls mit der Kritik des Sehens. Dieses Ernstmeinen heisst, dass eine Wende vollzogen werde, [17] die die Begriffe redimensioniert und anders weiterdenkt. In diesem Sinne gibt es in der Welt keine Objekte, die Bilder heissen könnten. Es gibt Objekte, deren Gabe ein Bild sein kann. Es gibt die Gabe des Bildes auch ohne gesehene Objekte. Es gibt Bildlichkeit in Texten, es gibt Bildlichkeit im psychischen Erleben, es gibt musikalische Bildlichkeit (Klangbilder), es gibt unsichtbare Bilder. Bildkritik ist dann die legitime Suchformel für eine anspruchsvolle interdisziplinäre Debatte, wenn sich ein Ausgangspunkt begründen lässt, von dem her alle diese Phänomene erörtert werden können. Es scheint, dass die Einstiegsbedingung dafür die Kritik an der Präponderanz des Sehsinns und des landläufigen Konzepts der objekthaft vorhandenen Bilder ist.

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Die hier skizzierte Argumentation erzählt eine Art von transzendentaler Vorgeschichte des Bildbegriffs, welche durch die Hereinnahme der Interpretandenposition im Sinne von Apel als Transzendentalpragmatik bezeichnet werden kann. ‹Bild› erscheint so als Ergebnis der Verflechtung der Sinnlichkeit und als Bestimmung des Bewusstseins, die Vorstellungen der Sinnlichkeit durch die doppelte Negation zum Bild zu erheben – wobei diese ganze Rhythmik der Bestimmungen von vornherein als eine interaktive gedacht wird.

<<  Ausgabe 03 | Seite 189  >>