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«Die Form» der Zeichnung «ist die ‹Idee›» (S. 14), dies zunächst im griechischen Wortsinne – ἰδέα, εἶδος – als sichtbare Gestalt, die in der Zeichnung besonders prägnant erscheint; sodann «Idee» enger platonisch verstanden als der Spielraum, der durch die Idee – durch ihren Sinn und ihre Wahrheit – eröffnet wird: Verhandlungstisch, Esstisch, Waschtisch, Rechentisch, Schreibtisch etc., das heisst lauter Möglichkeiten der Idee des Tisches, Form zu werden. Ihr Gegenpart, den Nancy nur streift, der «Stoff», «ist die Widerständigkeit der Form gegenüber ihrer Verformung» (S. 17). Offenkundig ist es nicht vornehmlich oder zumindest nicht allein die Unbestimmtheit des Stoffes (vgl. dazu auch S. 82), sondern die Variabilität der Idee, die für Nancy der zeichnerischen Offenheit der Form zugrunde liegt: in diesem Sinne unterstreicht er mehr als einmal: «Die Zeichnung ist also Idee», und als dieser unendliche Spielraum von Realisierungen «eine zukünftige Form, die in der Zeichnung hervorkommen [...] kann.» (S. 19) Was in der Zeichnung als offene Form in die Zukunft möglicher Wirklichkeiten weist, ihre Idee, ist so ihre wesentliche Möglichkeit, die aller eingezeichneten Wirklichkeit vorausgeht, oder – so Nancy mit Aristoteles – ihre «dynamis» (S. 22).

Dieser dynamische Charakter der Idee beinhaltet für Nancy – mit deutlich spinozistischem Anklang – die «formgebende Kraft» (S. 19–23), die in der Zeichnung als «forma formans» hervorkommt (S. 30–33).

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