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Abb. in: Basualdo, Topological Gardens (Anm. 7), Taf. 14.

 

Bei der Handkonfiguration handelt es sich um die einfachste und unmittelbarste sexuelle Geste, die nicht nur provozierende Funktion hat, sondern auch als Ausdruck von Aggression benutzt bzw. verstanden werden kann. Nauman hat sie bereits 1985 in einem Neonlicht-Objekt mit dem Titel Human Sexual Experience verwendet. [13] Das Objekt leuchtet in unterschiedlichen Phasen auf. In der ersten sind die Hände getrennt, in der zweiten durchdringt der Zeigefinger der blauen Hand den Kreis, der von der anderen gebildet wird. Naumans Neonlicht-Arbeiten kombinieren meist sexuelle und gewaltsame Handlungen zwischen Individuen in sich endlos wiederholenden Leuchtsequenzen [siehe auch Abb. 7]. Die zeitliche Abfolge der Neon-Arbeiten ist in der Radierung der Hände durch einen Kreis ersetzt, der sich wie ein Karussell endlos dreht. Die rechte und die linke Hand sind im ewigen Wechsel von passiver und aktiver Rolle sowie eindeutiger Dominanz der einen Hand gefangen. Aber auch hier ist die Dominanz des ausgestreckten Fingers nicht denkbar ohne die Ergänzung durch die beiden Finger, die das Loch bilden.

Der Radierung der fünf Handpaare liegt ein raffiniertes Verfahren zugrunde. Nauman schnitt Probeabzüge einer Radierung [Abb. 9] so aus, dass die Darstellung jeweils bei den Handgelenken beschnitten wurde. Dann setzte er fünf davon an diesen Schnittstellen auf einem Blatt so zusammen, dass sie eine Art Kranz bilden. Nauman liess diese Collage mit Hilfe eines Siebdruckverfahrens drucken und zwar diesmal nicht als Auflage, sondern jeweils als Monoprint, da die Farbigkeit bei jedem Abzug variierte. Hier machte er in einem der Vervielfältigung entgegengesetzten Prozess jeden einzelnen Abzug wieder zum Unikat, aber nicht durch die individuelle Bearbeitung durch seine Hand, sondern die unterschiedliche Einfärbung durch den Drucker. So spielt er auch hier mit der schrittweisen Entfernung der zeichnenden Hand zum Endprodukt, dessen Charakter (d.h. hier Farbigkeit) gar durch eine andere Person beeinflusst wird.

Diese Beobachtungen – insbesondere das Cut-and-Paste-Verfahren – führen uns direkt zu der Zeichnung/Collage im Kupferstichkabinett Basel [Abb. 1]. Auf dem grossen Blatt sind auf der linken Hälfte zwei ineinander verschränkte Hände zu sehen, während rechts ein Loch im Papier klafft. Der Titel All Thumbs (Holding Hands) bezieht sich auf das Idiom ‹to be all thumbs›, das Ungeschicktheit oder Tollpatschigkeit umschreibt, analog zur deutschen Redewendung, zwei linke Hände zu haben. Die ineinander verschränkten Finger auf der Zeichnung gehören denn auch tatsächlich zu zwei linken Händen. Die untere Hand zeigt den Handrücken, während die obere dem Betrachter die Handfläche zuwendet, so als wäre die eine Hand die Spiegelung der anderen.

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