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Instrumente, die eine Aufzeichnung empirischer Erfahrung unabhängig von künstlerischem Vermögen und stilistischer Eigenart erlauben sollten, entsprachen in besonderer Weise einer Naturphilosophie, die sich in ihren Selbstbeschreibungen explizit von tradierten Wissensbeständen als Blickschranken der Naturerkenntnis abwandte. Schon Bacon hatte mittels einer Analogie zu einem Zeicheninstrument verdeutlicht, dass die von ihm entwickelte Methode der Induktion weitgehend unabhängig vom individuellen «Scharfsinn und der Stärke des Geistes» Erkenntnis ermögliche: «Denn zum Ziehen einer geraden Linie oder zum Schlagen eines vollkommenen Kreises mit der blossen Hand gehört viel Sicherheit und Übung, aber wenig oder gar keine, wenn Lineal und Zirkel dazu verwendet werden.» [35] Die Verwendung der Perspektivinstrumente gestand in diesem Sinne keine künstlerische Unzulänglichkeit ein, sondern behauptete vor allem die Unvoreingenommenheit des Naturforschers, der sich ganz den Vorgaben des Maschinellen und damit den Gegebenheiten der Natur unterwarf.

3. Diskretes Zeichnen

Der hohe epistemische Stellenwert des Bildes und ganz besonders der Zeichnung im naturwissenschaftlichen Diskurs des frühneuzeitlichen England war vorbereitet durch die Aufnahme des Zeichenunterrichts in den adeligen und grossbürgerlichen Bildungskanon um die Wende zum 17. Jahrhundert. [36] In seinem populären Kompendium zur Ausbildung eines Compleat Gentleman (1622 u. ö.) hebt Henry Peacham (1576–1643) im Anschluss an Castiglione die Notwendigkeit des Zeichnens für jene hervor, die der Staats- resp. Kriegsdienst in ferne Länder führe. Schon weil Worte nicht ausreichten, es den Daheimgebliebenen zu schildern, sollte alles, «was selten und beachtenswert» ist, bildlich festgehalten werden, wozu neben den Städten, Burgen, Häfen und Fortifikationen fremder Länder auch «die Gestalt ihrer Tiere, Fische, Würmer, Fliegen usw.» gehörten. [37]

Der compleat gentleman vereint in seiner Funktion als reisender Bilderproduzent die Rollen von peregrinierendem Handwerker, Spion und Naturforscher und ähnelt damit jenen Abgesandten, die in Bacons zwei Jahre später entstandenem Entwurf der idealen Gelehrtenrepublik New Atlantis zur Datensammlung über das Meer geschickt werden. [38] Bei Peacham kündigt sich die für die Entwicklung des wissenschaftlichen Bildes bedeutsame Wandlung des Zeichnens von standesgemäßer Beschäftigung und militärischer Terrainkunde zu einer für die Erforschung der Natur relevanten Tätigkeit der dezidiert nicht-künstlerischen Virtuosi an. So betont auch Hooke die Überlegenheit des Bildes vor der Beschreibung: «no Description, by Words, can give us so full a Represention [sic!] of the true Form of the Thing describ’d, as a Draught, or Delineation of the same upon Paper.» [39]

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