Vgl. Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt, Frankfurt a. M. 1981, Bd. 3, S. 738–742.
Hookes Lösung der gleichermassen pragmatischen wie sozialen Störung bildlicher Authentizität bestand in einem Instrument, das den Laien gar nichts anderes hätte produzieren lassen sollen als «the true Draught of whatever he sees before him» [Abb. 7]. [44] In der tragbaren Camera obscura rücken Seh- und Abbildungsprozess nahe zusammen: Was auf der Mattscheibe gesehen wird, ist bereits quasi-acheiropoietisches Bild und muss nur noch fixiert werden. [45]
Die eigentliche Originalität von Hookes Vorschlag besteht weniger im technischen Entwurf als vielmehr in der anthropologischen Konsequenz, die er aus der Logik der mechanischen Bildproduktion zieht. Durch ihre Integration in die technischen Bedingungen der Camera obscura sollten ausgerechnet die Personen in Instrumente der Objektivität transformiert werden können, die als blosse Subjekte den sozialen Anforderungen wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit gerade nicht genügen konnten. Hooke begegnete damit dem Bedürfnis der Royal Society nach schierer Quantität verlässlichen Datenmaterials zumindest für das Medium der Zeichnung mit einer technischen Strategie der Qualitätssicherung. In Hookes tragbarer Camera obscura für Seeleute verdinglichte sich das wissenschaftliche Ideal, eine Versorgung mit authentischen Bildern, deren Urheber nun ― und das ist entscheidend ― ebenso unsichtbar wie namenlos bleiben konnten: [46] Objektive Bilder kennen keine Autorschaft, nur diskrete Produktionsgefüge. Die Vorstellung invarianter technisch-mechanischer Routinen machte eine Aufzeichnung der Empirie jenseits aller Manier denkbar. Daher wurde der Hand ganz im Gegensatz zum Auge im Diskurs instrumenteller Empirie kaum Aufmerksamkeit zuteil.
4. Künstliche Organe
Anthropologische Voraussetzung des Hooke’schen Entwurfs war die Annahme einer prinzipiell möglichen Aufhebung perzeptiver, kognitiver und motorischer Defizite durch Mittel der Technik. In der Einleitung zur Micrographia findet sich ein entsprechendes Programm zur instrumentellen Aufrüstung des Menschen, dessen Ausgangspunkt ein durch Sündenfall und Sittenverfall begründeter Verlust an Wissen und Erkenntniskraft bildete. Mit Hilfe von Instrumenten, so Hooke, sei es möglich, die selbstverschuldeten Schäden und Mängel ebenso zu beheben wie auch die angeborenen und kulturell bedingten Defekte. [47] Dieses Bild einer heilbringenden Technik hatte in der frühneuzeitlichen Maschinenliteratur schon länger zur Legitimation und Aufwertung der Mechanik gedient, bevor es vom Bereich der Entlastung und Verstärkung physischer Kräfte auf den Bereich der Wahrnehmung und Weltkenntnis übertragen wurde. [48] Die Aufhebung der Folgen der Ursünde durch technischen Fortschritt stellte die Rückgewinnung des vollkommenen Wissensbestandes in Aussicht und heiligte damit gleichsam die Mittel, das heisst die Instrumente der Wissenschaft. [49]