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Stand die Entwicklung der Perspektivinstrumente im Zusammenhang mit der Erfassung der aus römischem Boden geborgenen Relikte durch die Antiquare, so erweist sich die ‹Objektivität› der Hooke’schen Bilder und ihrer Produktionsweise wiederum an der individuellen Deformiertheit und Fragmentiertheit der Bildgegenstände.

Mit ihrer visuellen Rhetorik der Anti-Idealisierung erfüllten die Kupferstiche demonstrativ Bacons Konzept einer Tatsachenwissenschaft, die sich aktiv den trügerischen harmonie- und ordnungsbildenden Neigungen des menschlichen Geistes widersetzen sollte. In diesem Sinne ist auch die an den Anfang der Micrographia gestellte Entdeckung Hookes, dass unterhalb der Schwelle des unverstärkten Sehens keine vollständig glatten Oberflächen existieren, sondern nur regellose Zerklüftungen, auch als Absage an typisierende Darstellungen, d. h. «wahre Bilder», zu verstehen. [72] Während Verallgemeinerungen allein im Text vorgenommen werden, präsentieren sich Hookes Bilder in der herausgestellten Singularität ihrer Objekte konsequent als Resultat des Zusammenwirkens von «zuverlässigem Auge» und «getreuer Hand» unter der Leitung des Instruments.

Diese «getreue Hand», die als unselbständige Komponente des Instruments aller Manier und damit aller Sichtbarkeit entkleidet zu sein scheint, taucht für einen kurzen Moment im mikroskopischen Blick auf das Facettenauge einer Fliege auf:

«In so much that in each of these Hemispheres, I have been able to discover a Land-scape of those things which lay before my window, one thing of which was a large Tree, whose trunk and top I could plainly discover, as I could also the parts of my window, and my hands and fingers, if I held it between the Window and the Object.» [73]

Es ist bezeichnend, dass Hooke davon absah, diese Szene der ‹Selbst-Reflexion› ins Bild zu setzen, wie es im zeitgenössischen Stillleben häufiger der Fall war [Abb. 2]. [74] An dieser Stelle nämlich öffnete sich die Kluft zwischen der für die frühneuzeitliche Empirie so entscheidenden Rhetorik der Augenzeugenschaft und dem quasi-acheiropoietischen Charakter des Bildes. Um die erstaunlichen Reflexionseigenschaften des Fliegenauges ebenso anschaulich wie glaubhaft zu schildern, konnte Hooke nicht davon absehen, die Entdeckung seiner bewegten Hand zu erwähnen. Als Spur menschlicher Autorschaft durfte sie allerdings im Bild zugunsten des Anscheins instrumenteller Gemachtheit nicht erscheinen.

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