Wenngleich der blosse Besitz von Büchern niemals deren Rezeption garantiert, lässt sich die Bibliothek dennoch aufzufassen als materielle Spur des zeitgenössischen Kunst- und Bilddiskurses, in dem die Micrographia entstand. Eine umfassende Untersuchung zur Bedeutung der Kunstliteratur für Hookes wissenschaftliche Arbeiten steht bislang aus und kann auch hier allenfalls skizziert werden.
Die Micrographia wird im Folgenden als Ausgangspunkt dienen, die grundlegenden technologischen und anthropologischen Vorstellungen von der Möglichkeit «objektiver Bilder» im Kontext der künstlerischen und wissenschaftlichen Bilddiskurse der Frühen Neuzeit zu betrachten. Insbesondere die Auffassung vom Mikroskop als legitimen Werkzeug der Bildproduktion, so die Hypothese, lässt sich nur verstehen in Hinblick auf die Etablierung von Instrumenten im Diskurs der bildenden Künste seit dem 15. Jahrhundert und der dort einsetzenden Verbergung der zeichnenden Hand hinter technischen Routinen.
1. Mechanische Empirie
Für eine Erneuerung der Naturphilosophie, so lautet ein häufig zitiertes Diktum Hookes aus der Vorrede der Micrographia, bedürfe es weniger der Einbildungskraft, einer exakten Methode oder des eingehenden Nachdenkens als vielmehr einer «getreuen Hand und eines zuverlässigen Auges», um die Dinge so zu untersuchen und so aufzuzeichnen, wie sie erscheinen. [9] Angesichts der zahlreichen Abbildungen in Hookes Werk mag es nicht erstaunen, dass die beiden wesentlichen Mittel der Bildproduktion explizit genannt werden. Hooke stellt die Organe von Empirie und Manier ins Zentrum einer naturphilosophischen Praxis, deren Akteure nicht notwendig über besondere geistige Qualitäten verfügen müssten ― ja deren Erkenntnisfähigkeit durch deren vorgängige Aktivität nachgerade gefährdet wäre. Objektive Erfassung und Darstellung, so das Versprechen, sind möglich, ohne dass diese primär von der individuellen Verfassung des Subjekts, seinen jeweiligen Kenntnissen, theoretischen Vorannahmen und kognitiven Fähigkeiten abhängig seien.
Hookes Reduktion der epistemisch relevanten Instanzen auf Auge und Hand umgeht traditionelle Buchgelehrsamkeit und skeptizistische Erkenntniskritik ebenso wie die von Francis Bacon (1561–1626) beschriebenen «Idole», also jene anthropologischen und kulturellen Störungen, denen das Erkenntnispotential des Menschen ausgesetzt ist. Man kann dies als blosse Distinktionsrhetorik abtun, bedarf es doch zur wissenschaftlichen Erkenntnis zweifellos der Hilfe von Methode, Reflexion und Imagination ― doch in Bezug auf die zugrundeliegende Auffassung von Bildern und deren möglichen epistemischen Gehalt, erweist sich dieser Passus als Schlüsselstelle.