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Bei Kentridge entstehen gelegentlich Mondskizzen, die aus bildhistorischer Sicht an die astronomischen Zeichnungen der ersten Stunde erinnern. Die Urszene astronomischer Malerei fand statt, als Galileo Galilei im Dezember 1609 in Padua ein Teleskop auf den Nachthimmel richtete und die erste technische Mondschau der Menschheitsgeschichte vollzog. Den flüchtigen Anblick des Mondes suchte Galileo zeichnerisch zu fixieren, indem er das Gesehene in eine Bewegung der Hand übertrug. Die Erfassung des Objekts erfolgte nicht entweder durch Sehen oder durch Fühlen, sondern auf dem Weg einer ‹motorischen Intelligenz›, die in der Kunsttheorie der Renaissance als ‹disegno› bezeichnet wird und die den Prozess der Erkenntnis in einer systemischen Rückkopplung von Auge und Hand vermutete. [18]

Nach dem Verfahren des Disegno erzeugte Galileo künstlerisch wie naturwissenschaftlich erstaunliche Bildnisse. Ein neuer Bildtyp war geboren: Horst Bredekamp nennt ihn das ‹technische Bild›, weil der Betrachter seinem Objekt nicht mehr ‹nackt› begegnete, sondern nunmehr durch das optische Gerät des Teleskops hindurch blickte. [19] Mit dieser technischen Armierung des Auges vollzog sich eine neuartige ‹Apartheid der Sinne›, insofern das Schauen des Objekts und das Aufzeichnen des Gesehenen nunmehr alternierend organisiert sind, indem die Motorik der Hand ihre mentale Leistung nicht mehr in der direkten Anschauung, sondern aus dem visuellen Gedächtnis heraus erbringt.

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