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Kentridge entwirft eine unverwechselbare Ästhetik in einer einzigartigen Handschrift. Dabei ist seine ‹Video-Graphie› kein einfaches Mittel, um das Regime der Apartheid filmisch darzustellen, sondern vielmehr — so lautet die zentrale These dieses Beitrags — das visuelle Wagnis, mit den Mitteln des Zeichentrickfilms selbst auf das der Apartheid eigene Prinzip der Segregation einzuwirken. Kentridges ‹Video› (Sehen) ‹Graphie› (Zeichnen) erzeugt einen Bildtyp, der die taktile Arbeit des Zeichnens so mit dem Akt des Sehens verbindet, dass die Szene des Zeichnens und die gezeichnete Szene nicht in unterschiedlichen Erzählebenen ‹apart› bleiben, sondern sich endlos in einander verwickeln. Mit dem Wasser, das im Film allgegenwärtig ist, fliessen sie ineinander über.

Video-Graphie bedeutet eine sensorische Rückkopplung zwischen Hand und Auge, ein endlos geflochtenes Band, wobei das Gestische die visuelle Welt erzeugt, die die Hand erst hervorbringen muss. So gesehen ist Video-Graphie wortwörtlich eine ästhetische Praxis, verstanden nicht nur als eine Welt-rezipierende sinnliche Wahrnehmung, sondern als eine Arbeit der Erkenntnis und der Welt-Erzeugung. Wenn Kentridges Filmwelt eine Welt der Apartheid ist, dann nicht nur, weil sie die historische Segregationspolitik Südafrikas zum Gegenstand hat, sondern weil bei Kentridge die Video-Graphie selbst zu einem Verfahren gerät, das das politische Prinzip der Apartheid zu einer politischen Ästhetik verdichtet. [4]

Spur und Asche

Zu Recht hat die Kunstkritik wiederholt darauf hingewiesen, dass Kentridges Filmästhetik nicht unter einem einfachen Begriff des Animationsfilms zu fassen ist. Denn anders als bei herkömmlichem Zeichentrick, der Bewegung dadurch erzeugt, dass er viele geringfügig unterschiedliche Zeichnungen aneinanderreiht, erzeugt Kentridge die Animation innerhalb des Einzelbildes. Für Felix in Exile hat Kentridge nur knapp vierzig grossformatige Zeichnungen angefertigt. Zunächst zeichnet er mit Kohle ein Ausgangsmotiv auf einem Blatt. Dann radiert er auf demselben Blatt einzelne Ausschnitte aus und zeichnet sie neu, wobei er gelegentlich etwas blaue oder orangene Pastellfarbe einsetzt. Die ausradierten Spuren bleiben wie blasse Erinnerungen zurück. Die Zwischenstadien des Bearbeitungsprozesses fotografiert Kentridge nach dem Stop-Motion-Prinzip mit einer 35-mm-Kamera und fügt sie zu einer Bildfolge aneinander. [5] Das Ergebnis dieses Verfahrens sind bewegte Bilder, deren Animation auf einer Akkumulation der Vorzeichnungen beruht, die palimpsestartig über einander geschichtet sind. [6]

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