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In einer Zeit, als das Ende des Apartheidsregimes sich bereits ankündigte, zeichnen die Filme dessen Verbrechen auf und schaffen so ein Archivdokument für die Zeit danach. Sie erinnern somit an eine Zeit, die erst kommen muss, eine Zukunft, wie Jacques Derrida schreibt, «für die APARTHEID letztlich der Name für eine vergangene Sache sein wird» [8]. Diese zukünftige Zeit ist heute Gegenwart geworden.

William Kentridge hat diesen Moment prophetisch vorausgesehen. Mit Weitsicht widmet er seine Filmreihe Drawings for Projection genau dieser palimpsestartigen Mehrzeitigkeit. In seinen Filmen fragt er, wie sich die freie Welt und die Weltmedien einmal an Südafrika erinnern werden in einer aus seiner damaligen Sicht zukünftigen Zeit — nach der Fussballweltmeisterschaft (2009) und nach der Weltklimakonferenz (2011) —, einer Zeit also, deren reale Aktualität von damals aus in keiner verantwortbaren Weise wissbar war, mit einer Ausnahme, nämlich in Hinblick auf die Figur des Vergessens. Zug um Zug nimmt der Zeichner das Vergessen vorweg, insofern das mit Kohle gezeichnete Zeichen immer schon mit seiner Auslöschung rechnet. Mit der Asche selbst zeichnet er die flüchtige Bewegung der Hand auf. Deren Spur bahnt er als etwas, das wie die Asche zu bleiben verspricht, auch und gerade nach dem Brand. [9]

Abdruck

Die Arbeit der Spur als eine Kritik der Präsenz erschöpft sich bei Kentridge aber nicht im Zeichnen allein. Denn Kentridge nimmt ausser dem Zeichenstift auch eine Fotokamera in die Hand. Damit bringt er eine Geste ins Spiel, die der der Zeichnung ganz und gar fremd ist, weil sie keine Linie zeichnet, weder Luftzüge noch Auf- oder Abstriche zieht, keinen Punkt setzt oder sticht; weder verwischt sie Spuren mit dem Handballen noch radiert sie das Gezeichnete mit einem Radiergummi aus. Der Zeichner zieht die graphische Linie; der Video-Graph tippt dagegen auf den Auslöser der Kamera. Die Geste der Kamera ist der Tastendruck.

Dass die technischen Bedingungen von Zeichnung und Fotographie, oder Spur und Abdruck, grundverschieden sind, ist Kentridge wohl bekannt. Seit den 1970er Jahren hat er immer auch intensiv mit diversen Druckverfahren gearbeitet, mit Radierung, Sieb- und Linoldruck, Lithographie und Monotype, also jenen Techniken, die die Anti-Apartheid-Aktivisten zur Vervielfältigung von Postern und Flugblättern nutzten. [10] In seinen diversen Anwendungsbereichen beschreibt der Abdruck ein Verfahren, das mechanisch, reproduzierbar und seriell ist. Wenn der Duktus des Zeichnens die autographische Spur liefert, so erzeugt der mechanische Tastendruck den allographischen Abdruck. [11]

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