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Video-Graphie aber beruht auf dem Zusammenspiel beider Verfahren. Wenn auch der Abdruck (der fotographische Abzug, der Eindruck oder Aufdruck) aus einer ganz anderen Geste hervorgeht als die Spur, weil der Foto-Graph den Auslöser der Kamera drückt während der Zeichner die graphische Linie zieht, so gehen doch beide Gesten aus derselben Hand hervor. Erst gemeinsam bringen sie die Video-Graphie hervor. Sie entsteht in den Zwischenzuständen der Zeichnung, die die Kamera als Einzelbilder festhält.

Wie die Spur ist auch der Abdruck ein Verfahren der Nachträglichkeit und des Ent-zugs. Ein Handabdruck in nassem Lehm oder ein Fussabdruck im Sand wird erst sichtbar, nachdem die Hand aus dem Lehm oder der Fuss aus dem Sand abgehoben worden ist. Wie die Spur ist auch der Abdruck vorher von seinem Urheber berührt worden und berührt ihn noch nachträglich. Georges Didi-Huberman bezeichnet den Abdruck in diesem Sinne als «die Berührung einer Abwesenheit» und vergleicht seine anachronistische Operationsweise mit «der phantomhaften Wirkung von ‹Gespenstern›, von einem Nachleben […] von etwas, das fortgegangen ist und das doch bei uns bleibt, in unserer Nähe bleibt, um uns ein Zeichen seiner Abwesenheit zu geben». [12] Auch und gerade in dieser Nachträglichkeit der Berührung erweist sich der Abdruck und insbesondere auch der fotographische Abdruck von der Figur des Aufschubs (différance) gekennzeichnet, die Jacques Derrida der Spur zuschreibt.

Was für den Fall der Spur das Palimpsest war, ist für den Abdruck die fotographische Überblendung. Felix in Exile ist voll von Bildern, die wie fotographische Überblendungen aussehen, in Wahrheit aber Überzeichnungen sind, oder genauer: Fotographien von Überzeichnungen. Ihre besondere Ästhetik beruht auf dem spannungsvollen Verhältnis von Abdruck und Spur, ohne jemals eine starre Opposition zwischen ihnen zu behaupten. Kentridge versteht es, die jeweiligen technischen Bedingungen von Spur und Abdruck so auszureizen, dass sie, obwohl sie aus unterschiedlichen Gesten der Hand hervorgehen, die eine spürend, die andere drückend, sich endlos ineinander verschränken.

Beide Gesten sind wesentlich für das Verfahren der Video-Graphie, wo sie sich wiederum — zumindest dem Wortlaut nach — in zwei gesonderte Sinnesbereiche aufgeteilt finden: einerseits den motorischen Tastsinn der Hand und andererseits den Gesichtssinn des Auges. Video-Graphie meint aber bei Kentridge weder einen einfachen Gegensatz, noch eine Addition dieser beiden Sinne, sondern ein Zusammenwirken zweier separater (oder: ‹aparter›) Verfahren in einer komplexen, visuell-motorischen Ästhetik: Resultat einer medientechnischen Kombination des graphischen Zugs der Linie mit dem fotographischen Ab-zug.

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