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Als Schwierigkeit bei der Beurteilung der Konkurrenzsituation erweist sich, dass die Quellen weder über den genauen Ausgang des Wettbewerbs noch über etwaige Begründungen der Juroren Auskunft geben. Die beiden biographischen, sich jedoch widersprechenden Berichte der Konkurrenten sind hier ebenfalls unzuverlässig. Ob also Ghiberti, wie er selbst behauptet, den Wettbewerb tatsächlich klar gewonnen hat («Mi fu conceduta la palma della uictoria»), oder ob es zu einer Pattsituation mit dem Brunelleschi-Entwurf kam, wie wiederum dieser verlauten lässt («che amendue e modelli erano bellissimj»), kann nicht sicher entschieden werden. [16]

Aufschlussreicher ist dagegen der Umstand, dass man überhaupt beide Reliefplatten bewahrte und nicht, wie es in früheren Jahrhunderten üblich war, den Verliererentwurf vernichtete. Denn die Verfahrensweisen der Künstlerwettbewerbe ändern sich gerade am Übergang vom Mittelalter zur Renaissance dahingehend, dass die Wettbewerbsbeiträge als Belegstücke erhalten bleiben, ja als Kunstwerke eigenen Rechts betrachtet und bewahrt werden. [17] Die Form des Wettbewerbs ist hier also bereits trügerisch, weil es sich bei der Konzeption desselben nach dem Vorbild des antiken Agon um einen Wettstreit handelt, der auf Augenhöhe durchgeführt wird: «Renaissance rivalry implies parity or near-parity, which is to say, one’s rival is essentially one’s peer: one does not duel with an inferior. This equality implies in turn an appreciation of an artist’s status that was characteristic of the Renaissance.» [18] Damit ist auch gesagt, dass die Funktion einer Wettbewerbs nur vordergründig darin besteht, ein Qualitätsurteil zu fällen. Vielmehr darf man hinter dem Verfahren als solchem die Intention erkennen, Öffentlichkeit zu erzeugen und speziell im Falle des Florentiner Wettbewerbs für das Dekorationsprojekt des Baptisteriums zu werben. [19]

Vergleicht man schließlich die beiden Reliefs, so lassen sich selbstredend Unterscheide in der Behandlung des vorgegeben Themas, der Komposition und der Körperauffassung identifizieren. Sie betreffen aber eher Details und es fällt bei genauerer Betrachtung nicht gerade leicht, die Nuancen als echte Alternativen gegeneinander zu stellen. Vielmehr überwiegen qualitative Gemeinsamkeiten. So hat man etwa in beiden Entwürfen einschlägige Antikenzitate erkannt. [20] Bedingt durch das vorgegebene Sujet sind beide Darstellungen durch eine große varietà gekennzeichnet: So betont etwa Giorgio Vasari die besondere Figurenvielfalt, den Abwechslungsreichtum der Tierdarstellung und die technische Herausforderungen: «Als Thema wählten sie die Szene, wie Abraham seinen Sohn Isaak opfert, weil besagte Meister ihrer Meinung nach hier in der Lage sein sollten, ihr Können in den schwierigen Bereichen der Kunst unter Beweis zu stellen, da die Szene Landschaften, nackte Körper, Kleider und Tiere vorsah und man außerdem die vorderen Figuren im Vollrelief, die zweiten im Halb- und die dritten im Flachrelief ausführen konnte.» [21]

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