Ein weiteres Beispiel für eine Bildkontroverse, in der Blogger weltweite Aufmerksamkeit erregen und einen Sieg gegen die etablierten Presseagenturen davontragen konnten ist der «Fauxtography Blogstorm» um Fotos aus dem Libanon-Krieg 2006. Ein einziger Blog, Little Green Footballs [13], zeigte sich dort beinahe alleinverantwortlich für die Aufdeckung eines Fotoskandals, als die Verfasser Manipulationen an Fotos von angeblichen Zielen israelischer Luftangriffe nachweisen konnten. [14] Auch vor der Hochzeit des Internets wurden natürlich bildgebundene Kontroversen ausgetragen.
Besonders eindrücklich erscheint zum Beispiel die Kontroverse um Werbeanzeigen der Marke ‹United Colors of Benetton› in Printmagazinen, die eine Diskussion um die Zurschaustellung von HIV-infizierten für kommerzielle Zwecke beziehungsweise die Zulässigkeit europäischer Kritik an der Praxis der Todesstrafe in den USA auslösten. [15]
Während es bei letzterer – darin vergleichbar mit der Kontroverse um Aliaa Elmahdys Aktfotos – vor allem darum ging, was gezeigt werden darf und zu welchem Zweck, drehte sich der ‹Fauxtography Blogstorm› darum, ob das, was gezeigt wird, wirklich passiert ist beziehungsweise dem entspricht, als das es beschrieben wird. Allen genannten Kontroversen ist dabei gemein, dass sie sich explizit an Bildern entzündeten und der Gebrauch von Bildern im Allgemeinen oder in einer speziellen Weise beziehungsweise in einem speziellen Zusammenhang kritisiert wurde.
Die Bilder selbst funktionierten in den entstehenden Diskussionen als Knotenpunkte verschiedener Diskurse, die sich infolge der Kontroverse für kurze oder längere Zeit überlagern. In dieser Ausgabe möchten wir solchen Bildkontroversen nachspüren und ergründen, unter welchen Bedingungen der Status eines Bilds problematisch wird, wann Bilder zum Gegenstand von Kontroversen werden, welche Verfahren der Kritik und Legitimation von Bildern eingesetzt werden, und schliesslich, auf welche Weise in Kontroversen originäre Kategorien von Bildlichkeit formuliert werden.
Über die Verfahren der Bildkritik hinausgehend stellt sich zudem die Frage nach dem Ausgang von Bildkontroversen. Wie wenig bildhaft die Bildkritik selbst auch sein mag, am Ende der meisten ikonoklastischen Unternehmen stehen wieder neue, scheinbar objektivere Visualisierungen und Visualisierungsweisen. Besonders interessant scheint im Hinblick auf die historische Situiertheit von Kontroversen deshalb ein Blick auf das Schicksal von Bildern, nachdem eine Kontroverse offiziell zu Gunsten einer Position entschieden wurde. Fallen sie – als obsolet – dem Vergessen anheim, oder werden sie – als Embleme der siegreichen Position oder auch als Mahnmale für eine falsche und nun überwundene Meinung – zu kanonischen Ikonen?