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Hier zeigt sich exemplarisch, wie sowohl durch die politische Situation als auch durch die Form der Botschaft – als bildliche Botschaft aus einem relativ unbedeutenden Blogeintrag –  der Ursprung einer weltweit beachteten Kontroverse entsteht. Die Äusserungen von Aliaa Elmahdy wären in den Wirren der Revolution höchstwahrscheinlich untergegangen, hätte ihr Bekannter die Bilder ihres nackten Körpers nicht über Twitter verbreitet. Verbunden mit den Bildern und der damit erzeugten öffentlichen Aufmerksamkeit hatten die liberalen Kräfte die Befürchtung, dass ihr öffentliches Ansehen so kurz vor den Wahlen Leiden könnte, wenn sie sich auf die Seite der Kunststudentin schlagen und somit die Freiheit über die gesellschaftlichen Werte stellen würden.

Die Strategie der islamistischen Kräfte war es schliesslich, den Liberalen die Korruption der Moral in Ägypten vorzuwerfen. Ein Zusammenhang zwischen den politischen Aktivisten auf dem Tahrir-Platz und einer Kunststudentin, die sich öffentlich nackt zur Schau stellt, schien den liberalen und säkularen Kräften in Ägypten fatal für ihre Ziele zu sein. Islam Kamel, ein Student an der American University of Cairo, an der auch Elmahdy studierte, bezeichnete den Tweet #nudephotorevolutionary gegenüber dem ägyptischem Online-Nachrichtendienst als «the most daring conflicting act I’ve seen for a long time but (...) also the worst thing that happened to the liberal movement in Egypt».

Die Bilder hätten eine Debatte ausgelöst, die den Konservativen erlaube «to have one more reason to call for an Islamic state and blame liberals and seculars for this. You will probably see one of them saying this is how all women will act if Egypt isn’t saved by an Islamic leader». [8] Wie einige weitere Kommentare zeigen, beruhte die allgemeine Empörung allerdings weniger auf den Äusserungen von Elmahdy als auf der Tatsache, dass sie sich auf den Bildern nackt zeigte. Die Problematik der Nacktheit in der ägyptischen Gesellschaft betont zum Beispiel die Frauenrechtlerin Nehad Abou el-Qomsan, die Elmahdys Kritik an der allumfassenden Verhüllung der Frau und der damit verbundenen Negation ihrer Existenz grundsätzlich unterstützt, aber darauf verweist, dass Nacktheit ebenso zurückzuweisen sei wie Verhüllung, da sie eine Form des Körpermissbrauchs darstelle. [9]  Exemplarisch für eine derartige Kritik an Elmahdy steht der Kommentar eines Lesers, Magued Ghoraba, auf der Onlinepräsenz von Egypt Independent (Al-Masry Al-Youm): «We are defending secularism from innuendos and then we get this #NudePhotoRevolutionary. Stop shocking people to the point of repulsion.» [10]

Tatsächlich waren es in einer Zeit, in der in Ägypten fast alles möglich schien, die Bilder, welche die verblichenen Grenzen zwischen neuen Möglichkeiten und fort existierenden Tabus zum Vorschein brachten.

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