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Die dem Aristophanes in den Mund gelegte ironische Bemerkung suggeriert jedoch, dass solche Verwechslungen grundsätzlich möglich sind.

Man kann dieser Warnung vor einer zweiten Spaltung der Menschen, bei der Kopf und Körper geteilt würden wie antike Freundschaftsmarken, eine bildkritische Pointe entnehmen und sie als implizites Argument gegen Trugbilder deuten. Die in Rede stehenden Relieffiguren sind trugbildhaft im Sinne Platons, weil sie nicht ganze Körper proportionsgetreu wiedergeben, wie es manche Vollplastiken tun, sondern nur – notwendig einseitige – Körperansichten. Diese einseitigen Ansichten werden durch die Reliefs in Steinform verewigt. Das heißt, die Reliefs geben dem, was nur schwankende Erscheinung ist, dauerhafte Form. Profillinien, die sich in der Betrachtung eines lebendigen Körpers oder einer getreuen Kopie je nach Blickwinkel verändern, werden zu festen Umrissen fixiert. Daraus ergeben sich, wie Platon andeutet, Verwechslungsmöglichkeiten. Jemand (ein Philosoph vielleicht?) könnte das Trugbild, gerade weil es in fester Form erscheint, für ein Ebenbild halten und dann zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangen wie Aristophanes im Symposion.

Denn das ist es ja, was dieser an der zitierten Stelle, sei’s auch mit ironischem Lächeln, tut: Er behandelt scheinbildhafte Reliefs, als ob sie ebenbildliche Vollplastiken wären, interpretiert trugbildhafte Darstellungen wirklicher Gestalten als ebenbildliche Darstellungen trugbildhafter Gestalten, die es in Wirklichkeit nicht oder noch nicht gibt. Der Mangel der Darstellung wird in die Darstellung eines Mangels umgemünzt, die dem Bild als solchem zukommende Einseitigkeit dem dargestellten Wesen als Eigenschaft beigelegt.

Die hier angedeutete Unterscheidung von Trugbild und Ebenbild ist allerdings selber trügerisch, sofern sie dazu verleitet, das Trugbild mit Einseitigkeit oder Mangel, das Ebenbild hingegen mit Ganzheit oder Vollständigkeit zu identifizieren. Eine einfache Überlegung zeigt, dass selbst das getreueste Abbild in dem Sinn einseitig sein wird, dass es die Merkmale seines Vorbildes nicht vollständig abbilden kann. Täte es dieses, wäre es kein Abbild mehr, sondern eine Reproduktion. Platon selber hat auf diesen Umstand einmal hingewiesen:

«Kann von zwei verschiedenen Dingen die Rede sein, z.B. von Kratylos und einem Bilde des Kratylos für den Fall, dass irgendein Gott nicht nur deine Farbe und Gestalt nachbildete wie die Maler, sondern auch das ganze Innere genau dem deinigen angleichend darstellte und alle Besonderheiten von Weichheit und Wärme völlig entsprechend wiedergäbe, ebenso Bewegung, Seele und Vernunft ganz wie bei dir in sein Werk hineinlegte, kurz alles, was du hast gerade so noch einmal neben dich stellte? Wäre das dann Kratylos und daneben ein Bild des Kratylos, oder wären es zwei Kratylos?»

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