Platon, Kratylos, 432, in der Übersetzung von Otto Apelt, Leipzig 1922, S. 117.
Es wäre tatsächlich kein Bild, sondern eine Verdoppelung, denn «bei jeder Art von Bild [...] verbietet es sich [...] alles wiederzugeben, was das abgebildete Objekt an sich hat, wenn es noch ein Bild sein soll.» [2] Bilder können vielleicht ähnlich sein, gleich sind sie nie. Und diese Ungleichheit ist nicht etwa ein Makel, der nur einer defekten Form von Bild, dem Trugbild, anhaftet, während Ebenbilder dem, was sie darstellen, glichen, sondern es handelt sich um ein Wesensmerkmal: Die Einseitigkeit oder Unvollständigkeit ist es, die das Bild von der Verdoppelung unterscheidet.
Bilder bilden nicht vollständig ab. Dieser Satz hat eine – ebenso triviale, aber auch ebenso wichtige – Kehrseite, auf die mit besonderem Nachdruck Meyer Schapiro aufmerksam gemacht hat: Nicht alles, was an einem Bild zu bemerken ist, bildet etwas ab, niemals werden alle seine Eigenschaften mimetisch sein. [3] Zur Einseitigkeit des Abbildens kommt also hinzu, dass das Abbilden nur eine Seite des Bildes ist, weil kein Bild in jeder Hinsicht etwas abbildet: Immer werden sich Aspekte aufweisen lassen, die nichts nachahmen – und dennoch fundamentale Darstellungsaufgaben übernehmen können. Der platonische Aristophanes hebt die Einseitigkeit der Reliefs hervor und lässt sie als Mangel erscheinen. Er übersieht dabei, dass uns solche Stelen aufgrund bestimmter Momente, die nichts nachahmen und in Schapiros Terminologie nicht-mimetisch heißen, in besonderer Weise anzusprechen vermögen. Das Grabrelief bietet mir die Stirn im Hier und Jetzt, indem es mir seine Schaufläche zuwendet. Aus dieser Zuwendung und Konfrontation ist die Figur auf dem Relief durch die Drehung ins Profil herausgenommen und so der Gegenwart entrückt. Das Bild zeichnet in die Gegenwart, in der es mich anspricht, eine Abwesenheit ein, lässt in dem Hier, das es markiert, zugleich ein Anderswo erscheinen.
Wie aber sollen wir zwischen den mimetischen und den nicht-mimetischen Aspekten eines Bildes unterscheiden? Offenbar ist es stets möglich, nicht-mimetische Aspekte mit mimetischen zu verwechseln; stets wird es einen Spielraum geben, aus dem Monstren hervorgehen – oder hervorgelockt werden – können. Die an diesem Punkt aufscheinende Ungewissheit hinsichtlich des Umfanges, in dem Bilder sich darauf verpflichten, etwas nachzuahmen, – diese Unsicherheit dürfte einer der Gründe sein, weshalb ironische Volten im Stil von Platons Aristophanes im europäischen Bilddenken in den verschiedensten historischen Zusammenhänge von der Antike bis in die ästhetische Moderne immer wieder vorgekommen sind. Ob man diese Volten tief oder platt nennen soll, ist nicht leicht zu entscheiden, in der Regel sind sie wohl beides zugleich. Sie folgen immer dem gleichen Schema: Man macht sich den ungeregelten Grenzverlauf zwischen mimetischen und nicht-mimetischen Aspekten eines Bildes zunutze und weitet den Bereich der Mimesis auf mehr oder weniger überraschende Art aus.