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Viele Antworten wären möglich. Das Faszinosum aber bleibt: Aus der Opazität eines sinnlosen Stoffgewirrs heraus emergiert eine Form, die nicht aus den Rockschößen eines Bildobjekts oder den Intentionen eines Malers besteht, sondern aus Elementen des Sinns gemacht ist, die als solche unsichtbar sich direkt im Sichtbaren manifestieren, ohne einer empirischen Wirklichkeit zu entsprechen. Bis heute bedarf es entgegen der Behauptung Pfisters einiger Anstrengung, den Geier überhaupt zu entdecken, von schlagender Evidenz kann keine Rede sein. Es bedarf im Gegenteil einiger visueller Persuasion durch Hervorhebung innerhalb der schematischen Zeichnung, damit der Geier aus den Rockfalten hervortritt. Für das Bild des Geiers in den Rockschößen der «Anna Selbdritt» ist die Wahrheit oder Fehlerhaftigkeit der Freudschen Argumentation nicht von Belang, die Bedeutung die einstmals zur Emergenz der Figur geführt hat, ist im Gang der Wissenschaftsgeschichte diffundiert, durch Widerlegung aufgelöst worden und vielleicht ist damit auch die einstmals möglicherweise stärker ausgeprägte Evidenzkraft verschwunden und in Opazität zurückgesunken.

Was einmal zuhanden war sinkt wieder in Vorhandenheit ab. Das Bild des nun nutzlosen Geiers selbst ist jedoch immer noch da, eine halb lächerliche, halb unheimliche Sichtbarkeit ohne eigene Wirklichkeit, sinnlos geworden aber «in seiner Art abgeschlossen», zu einem Artefakt geronnen. Das Spiel von Transparenz und Opazität lässt Wesen, Entitäten, Präsenzen und auch Bilder zurück, die Zeugnis ablegen von der Kontingenz der jeweiligen Zuschreibung; was bleibt sind Zeugen der turbatio, des «Streits» zwischen Transparenz und Opazität, deren Interdependenz in der Differenz an ihnen ablesbar bleibt.

<<  Ausgabe 04 | Seite 146