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[4]

Franz Kafka, Die Sorge des Hausvaters, in: ders., Sämtliche Erzählungen, Frankfurt a. M. 1989, S. 139.

[5]

Ebd., S. 139.

 

Aber bereits der Titel von Shannons so einflussreichem Paper – Communication in the Presence of Noise – zeigt, dass die Argumentation sich hier der optischen Metaphorik von Transparenz und Opazität verdankt: Gelingende Kommunikation ist nur vor dem Hintergrund der Störung/des Rauschens denk- und wahrnehmbar. Es handelt sich um eine Denkfigur der Emergenz, d.h. information muss dem allgegenwärtigen Rauschen mittels Algorithmen und Filtertechniken erst abgerungen werden, bevor information und noise, Transparenz und Opazität überhaupt unterschieden werden können. Auf bestimmte Art und Weise sind Transparenz auf Opazität, information auf noise angewiesen und umgekehrt, jedoch offenbar nicht einfach nur dahingehend, dass etwas auf sein Gegenteil als Distinktionsmerkmal bezogen ist.

I. Odradek

Die Faszination, die von Kafkas Erzählung Die Sorge des Hausvaters ausgeht und die sich in immer wieder neu ansetzenden Interpretationen weit über die Literaturwissenschaft hinaus dokumentiert, liegt in der Meisterschaft und Konsequenz begründet, mit der die Ambiguität der Existenz von Odradek narrativ konstruiert wird. Odradek ist ein Wesen, das im Haushalt des Erzählers (des Hausvaters) anzutreffen ist und dessen Existenz merkwürdig uneindeutig zu sein scheint. Aus seinem Namen lassen sich weder Bedeutung und sprachliche Herkunft, noch geschlechtliche Identität ableiten. Auch lokalisierbar ist Odradek nicht; so scheint er/es immer in einem atopischen Dazwischen, in Räumen des Transits beheimatet zu sein («auf dem Dachboden, im Treppenhaus, auf den Gängen, im Flur» [4]).

Nach einer verhältnismäßig langen Beschreibung der Physiognomie Odradeks, die es schafft, deutlich und detailliert zu sein, ohne auch nur den Hauch von Anschaulichkeit zu besitzen, heißt es:

«Man wäre versucht zu glauben, dieses Gebilde hätte früher irgendeine zweckmäßige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein; wenigstens findet sich kein Anzeichen dafür; nirgends sind Ansätze oder Bruchstellen zu sehen, die auf etwas Derartiges hinweisen würden; das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen. Näheres läßt sich übrigens nicht darüber sagen, da Odradek außerordentlich beweglich und nicht zu fangen ist.» [5]

Es ist das Kunststück des Textes, dass Odradek umso unsichtbarer wird, je genauer der Erzähler (und mit ihm die Imagination des Lesers) hinzuschauen versucht. Alle noch so detaillierten Beschreibungen von Odradeks Physiognomie führen beim Erzähler nur zur Einsicht in die Sinnlosigkeit des Darstellungsunterfangens.

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