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[6]

Ebd., S. 139.

[7]

Ebd., S. 140: «...es ist aber nur ein Lachen, wie man es ohne Lungen hervorbringen kann.»

 

Das Wort «Gebilde» ist hier deswegen so präzise gewählt, da es sich um eine Art Sichtbarkeit handelt, die sich im fluiden Zustand des Zur-Erscheinung-Kommens befindet, ein «Bild» im Prozess des Bildwerdens also, das aber nicht zum Abschluss kommt, nie zu fester Form gerinnt. Betont wird jedoch gleichzeitig gerade die insistierende Unabweisbarkeit Odradeks, man kann ihn/es also nicht ignorieren oder für nichtig erklären, so gerne man dies aufgrund seiner Nicht-Fassbarkeit auch täte: «Natürlich würde sich niemand mit solchen Studien beschäftigen, wenn es nicht wirklich ein Wesen gäbe, das Odradek heißt.» [6]

Alle scheiternden Beschreibungsversuche ändern nichts an dieser Wirklichkeit Odradeks, die gleichzeitig als unbeholfen und nahezu stumm aber auch als «beweglich und nicht zu fangen» konturiert wird. Die Erzählung beschreibt eine Wirklichkeit ohne Sichtbarkeit und entspricht darin Odradeks tonlosem Lachen. [7] Dieses Gebilde ist somit tatsächlich auch als fiktives Konstrukt und Vorstellungsbild «sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen» d.h. ‹Form› ohne ‹Inhalt›, ‹Medium› ohne ‹Botschaft›. Was bleibt, ist allein eine Insistenz, die gerade in ihrer ‹Sinnlosigkeit› das Augenmerk auf die Präsenz des Sinns lenkt, auf jene Aspekte der Sinngenese also, die zwar Bedingung der Möglichkeit des Erscheinens sind, als solche aber gerade nicht in Erscheinung treten können. Im logischen Zwielicht der Erzählung lässt sich die Gestalt Odradeks immer gerade nicht deutlich erkennen, während an dessen Vorhandenheit jedoch zu keinem Zeitpunkt Zweifel bestehen.

Immer jedoch, wenn ein sinnstiftendes Attribut zur näheren Beschreibung herangezogen wird, kommt sofort ein neues hinzu, welches das vorhergehende nicht einfach nur negiert, sondern so modifiziert, dass aus der Addition der Beschreibungsmerkmale ein Sprachgebilde entsteht, das – um eine in diesem Zusammenhang einschlägige Begrifflichkeit Martin Heideggers zu bemühen – zwischen Zuhandenheit und Vorhandenheit changiert. Die Anhäufung von Beschreibungsversuchen des Wesens Odradek, die auf dem knappen Raum von nicht einmal einer Seite eine beträchtliche Anzahl von Textgenres von der wissenschaftlichen Abhandlung bis zum Tagebucheintrag aufbietet und parodiert, verdeckt indem sie aufdeckt und umgekehrt.

II. Heidegger

Es ist dabei kein Zufall, dass der Erzähler Kafkas die Vermutung anstellt, das Gebilde Odradek «hätte früher irgendeine zweckmäßige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen», denn die Frage nach der Zweckmäßigkeit ist nur eine weitere Frage nach dem Sinn. Was Zweck hat, ist Teil der Welt, geht im praktischen Umgang auf und gehört somit zur Ebene jener Objekte, die Martin Heidegger «Zeug» nennt. [8]

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