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Ebd., S. 74.

 

Wie alle Objekte, deren Zweck- oder Sinnhaftigkeit in Frage steht, fällt auch Odradek auf (und ‹aus dem Rahmen›) und ist in seiner Nutzlosigkeit zugleich unabweisbar als auch ungreifbar. Diese Gleichzeitigkeit aber ist entscheidend. Während die Transparenz der Zuhandenheit Heidegger zufolge scheinbar ausschließlich darin besteht, dass die Dinge in ihrer Zweckhaftigkeit just für den Sinn durchsichtig sind, der Ihnen im praktischen Umgang gegeben ist, tritt Opazität genau dann zutage, wenn diese Zweckhaftigkeit getrübt, d.h. gestört wird, das Zeug zum Beispiel «zerbrochen» ist. Odradek ist zwar in der ihm eigenen enigmatischen Art auffällig, aber eben nicht zerbrochen oder auf andere Weise «bloß vorhanden», er scheint in einem Zwischenreich von Zuhandenheit und Vorhandenheit, Transparenz und Opazität zu existieren, in dem eine Dichotomisierung dieser beiden Ebenen nicht mehr möglich ist:

«Die Modi der Auffälligkeit, Aufdringlichkeit und Aufsässigkeit haben die Funktion, am Zuhandenen den Charakter der Vorhandenheit zum Vorschein zu bringen. Dabei wird das Zuhandene noch nicht lediglich als Vorhandenes betrachtet oder begafft, die sich kundgebende Vorhandenheit ist noch nicht gebunden in der Zuhandenheit des Zeugs. Diese verhüllt sich noch nicht zu bloßen Dingen. Das Zeug wird zu ‹Zeug› im Sinne dessen, was man abstoßen möchte; in solcher Abstoßtendenz aber zeigt sich das Zuhandene als immer noch Zuhandenes in seiner unentwegten Vorhandenheit.» [14]

Wiederum kommen optische Metaphern zum Einsatz, die nun vor allem die Alterität des so «begafften» betonen sollen. Es ist hierbei nicht nur rhetorisch bemerkenswert, dass Heidegger nicht den viel stärkeren Ausdruck «begafft» im Text kursiviert, sondern «betrachtet». Wichtig ist somit offenbar ein bestimmtes Element optischer Wahrnehmung, das eine «Abstoßtendenz» (begaffen) immer schon beinhaltet. Dies ist das Element des Erscheinens selbst, das durchscheinender Transparenz entzogen ist, sich nie der Zuhandenheit fügt und damit letztlich immer ein Moment von Alterität und Verbergung im Vollzug visuellen Weltbezugs walten lässt. Es zeigt sich – und hier trifft sich Heideggers phänomenologische mit Kafkas poetologischer Perspektive –, dass Transparenz und Opazität, Zuhandenheit und Vorhandenheit niemals sauber voneinander zu trennen sind und sich ein Erscheinen gerade in und durch Verbergung ereignet. Zugespitzt formuliert: Transparenz und Opazität, Zuhandenheit und Vorhandenheit sind zwei Modi derselben Verbergungsdynamik, die sich nicht nur in der «Abstoßtendenz» von Störungen und Irritationen zeigt. Perturbation ist nicht mit Opazität gleichzusetzen, der dann Transparenz als dessen Gegenteil gegenübergestellt werden könnte. Was sich in Störungen zeigt, ist Opazität in der Transparenz, das «Zuhandene in seiner unentwegten Vorhandenheit».

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