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[15]

Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerks, in: ders., Holzwege, Frankfurt a. M., S. 1-75, hier S. 42.

[16]

Siehe dazu ausführlicher: Markus Rautzenberg, Die Gegenwendigkeit der Störung, Berlin–Zürich 2009, S. 165-177. p>

[17]

Heidegger, Sein und Zeit (Anm. 9), S. 80.

 

Der Begriff der «Auffälligkeit» ist in einem zweiten Schritt dazu angetan, zu zeigen, dass diese grundständige Denkfigur der Verflechtung von Transparenz und Opazität im Sinne des Zuhandenen in seiner unentwegten Vorhandenheit sich nicht nur in Störungen zeigt, sondern als Basis des Zeigens selbst zu betrachten ist. Von Sein und Zeit bis in das Spätwerk hinein wird das Denken Heideggers auf diese vom Ereignis der Sichtbarkeit inspirierte Grundfigur bezogen bleiben. Der für den Kunstwerkaufsatz zentrale Wahrheitsbegriff der «Unverborgenheit» etwa, der die Dynamik des «zwiefachen Verbergens» [15] wiederum anhand einer optischen Metapher auf den Begriff bringt, bleibt dieser steten Dynamik von Transparenz und Opazität (hier «Streit» genannt) bis ins Detail der Argumentation hinein verpflichtet. [16]

Entscheidend für die These, dass Transparenz und Opazität nur zwei graduell verschiedene Seinsweisen derselben genuinen Verbergungsbewegung sind, die im Zuge des Verweisungszusammenhanges von Welt sowohl störend als auch konstitutiv wirken, ist zuletzt eine Beobachtung Heideggers, die in ihrer Einfachheit berückend ist: Damit etwas überhaupt in Erscheinung treten kann, muss es sich von der Fülle des Wahrnehmungsmaterials abheben, d.h. auffällig werden, noch bevor es in einem wie auch immer gearteten Verweisungszusammenhang dienlich, zuhanden, transparent sein kann. [17] Aufsässigkeit und Auffälligkeit unterscheiden sich hier nur graduell und nicht kategorisch. Während Aufsässigkeit die «Abstoßtendenz» in den Vordergrund stellt, und somit in Richtung Störung und Irritation als Durchkreuzung von Zuhandenheit interpretiert werden muss, liegt der Akzent der Auffälligkeit auf dem Anteil von Vorhandenheit innerhalb von Dynamiken der Zuhandenheit.

Was also im einen Fall als Destruktion von Transparenz erscheint, wird im anderen Fall durch eine leichte Akzentverschiebung zur Bedingung der Möglichkeit letzterer. Zwar kann man kein Buch lesen, indem man jeden einzelnen Buchstaben liest, aber wenn die Buchstaben gar nicht erst als solche erkannt werden, ist ein Lesen nicht einmal als Möglichkeit gegeben.

Worin besteht also die ‹Methode Odradek› aus der Perspektive der Zeuganalysen? Die Sorge des Hausvaters zeigt im Vollzug der Sprache ein ‹unsichtbares Bild›, indem der Vorgang des zur Erscheinung-Kommens (hier im Medium der Sprache) selbst thematisch wird. Odradek ist ontologisch nicht zu fassen und trotzdem unabweisbare Wirklichkeit. Er/es ist zu nichts dienlich, hat keinen ‹Sinn› und ist gerade deshalb Gravitationszentrum einer Erzählung, die auf höchst unanschauliche Weise anschaulich ist. Odradeks Unzuhandenheit zieht wie ein Magnet den Sinn an, der sich quasi um dieses Gebilde herum drapiert und ihm so Kontur verleiht, so undeutlich diese auch sein mag.

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