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Wie unterschiedlich sich die Konturen des Fachs inmitten der interdisziplinären Bilderfrage abzeichnen können, erweist sich an zwei jüngeren Lexika, die schon allein ob der Auswahl von Begriffen und ob ihres Zuschnitts einzelner Beiträge in völlig verschiedene Richtungen weisen: Am 2012 bei Reclam erschienenen Lexikon Kunstwissenschaft. Hundert Grundbegriffe, herausgegeben von Peter Jordan und Jürgen Müller, sowie am 2011 bereits in zweiter, erweiterter Auflage erschienenen Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, das Ulrich Pfisterer verantwortet.

Trotz aller Unterschiede ist auffallend, dass beide Bände die «Kunstwissenschaft» im Titel tragen. Und bei beiden Bänden werden strategische Motive deutlich, die mit dieser Wahl von den Herausgebern und/oder Verlagen verbunden werden. Wenn solcherlei Publikationen ein Stück weit als jene Wissenschaftstheorie des Fachs gelten können, die Dittmann 1975 unter interdisziplinären Vorzeichen als «Kunstgeschichtswissenschaft» forderte, dann hat in diesen jungen Unternehmungen die «Geschichte» der Kunst scheinbar etwas an Boden verloren – vielleicht auch, um schon allein in der Selbsttitulierung nicht gegenüber einer phantasmatischen ‹undisziplinierten Bildwissenschaft› vermeintlich ins Hintertreffen zu geraten.

Der jeweils unterschiedliche Zuschnitt des mit den Titeln einmal mehr gegebenen, nicht mehr ganz neuen Versprechens einer Kunstgeschichte als ‹Kunstwissenschaft› resultiert im Fall der beiden vorliegenden Bände aber auch aus dem Format – und dies im ganz materiellen Sinn. Denn in beiden Fällen bestimmt sich über Grösse und Umfang der gedruckten Produkte serienbedingt jeweils auch, wieviele und damit auch welche Begriffe aufgenommen werden können. Die Logik des Formats wird zum Filter der Theorie. Das materielle Format bestimmt das ideelle Format dessen, was jeweils aus der Summe der Begriffe als Kunstwissenschaft gelten kann – und was als wissenschaftstheoretisches Selbstbild der Disziplin Kunstgeschichte an die Leser solcher Bände transportiert wird. Dabei ist es, dies sei vorausgeschickt, über die Formate hinweg in den überwiegend exzellenten Einträgen fast durchweg eine Freude, das Fach beim Nachdenken über sich selbst zu beobachten.

2. Im Korsett von (100) Grundbegriffen

Der jüngere, von Peter Jordan und Jürgen Müller herausgegebene Band sucht das Bild des Fachs in 100 Grundbegriffen «als Grundlage für das Verständnis aktueller kunstwissenschaftlicher Debatten» auf 360 Seiten im Reclam-typischen Kleinformat (152 mm x 96 mm) zu vermitteln. Entstanden ist ein Brevier, das die 100 Lemmata in ungeheure Kürze zwingt, die mit nur je fünf weiterführenden Literaturverweisen auskommen.

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