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Die programmatische Begründung des Titels «Kunstwissenschaft» und die daraus resultierenden Auswahlkriterien für die aufgenommenen Begriffe erläutern die Herausgeber gleich in der Einleitung. In einer Art Abgrenzungsmanöver wird die Bezeichnung «Kunstwissenschaft» damit ins Feld geführt, dass sie einerseits dem Missverständnis vorbeugen solle, es handle sich «primär um ein Lexikon kunsthistorischer Stilepochen» (9), und dies andererseits «dem Umstand Rechnung tragen [soll], dass die wissenschaftliche Behandlung der Kunst zunehmend neue Untersuchungsgegenstände in den Blick nimmt.» (9). Auch wenn sich bezweifeln lässt, dass diese Erweiterung ein ‹neues› Phänomen ist, so ist es unbestritten, dass Fotografie, Film und andere Bildmedien «zum selbstverständlichen Kanon des Fachs» (9) gehören. Weit weniger leuchtet die Abgrenzung zu einer über Stilepochen definierten Kunstgeschichte ein, die wohl weniger einem wissenschaftlichen als vielmehr einem sich hartnäckig haltenden, populären Verständnis des Fachs entspringt.

Unter dem Titel Kunstwissenschaft scheinen die Herausgeber auch die in den Wissenschaften virulent gewordene Bilderfrage unterbringen zu können, die sie explizit in ihrer Einleitung zum Thema machen. Zur «vielfältigen Identität» (9) der Kunstwissenschaft gehöre es, sich auch auf die zentrale Frage der Visualisierung in den Wissenschaften einzulassen – auch wenn die Herausgeber die Rolle der Bilder in diesem Punkt zu unterschätzen scheinen. Denn weder «veranschaulichen» Bilder in den Wissenschaften irgendwelche Sachverhalte, quasi illustrativ, noch tragen sie allein zur «Theoriebildung» bei (9). Vielmehr sind Visualisierungen in vielen naturwissenschaftlichen Fächern zur conditio sine qua non geworden, ohne die Erkenntnis schlichtweg überhaupt nicht möglich ist. Es ist bedauerlich, dass die reiche Forschung zu Bildern auf diesem Gebiet keinerlei Eingang in die Einträge gefunden hat, zumal gerade an solchen Rändern der Kunst konstitutiv an deren Theorie mitgearbeitet wird.

Obwohl man sich beim Titel für die Wissenschaft und nicht die Geschichte der Kunst entschieden hat, wird gleichwohl die Bedeutung der Historizität für das Fach betont: «Dabei kommt Kunstwissenschaft ohne Kunstgeschichte nicht aus, ist doch die ‹Macht» der Werke keine überhistorische Konstante, sondern selbst historisch-gesellschaftlich bedingt» (10). Wenn im Zuge dieser Argumentation vom «Werkzeug des Historikers» (10) die Rede ist, wird deutlich, wie stark der Band insgesamt vom Historiker Jordan geprägt ist, der auch als Spiritus Rector der Reclam-Reihe gelten darf, die in einem Band zur Geschichte ihren Ausgang nahm.

Insofern bleibt es seltsam offen, woraus sich in diesem an Kunsthistoriker gerichteten Lexikon das Verständnis der «Grundbegriffe» speist – die Einleitung schweigt sich darüber aus.

<<  Ausgabe 04 | Seite 121  >>