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Wie sehr das Theoriefeld derzeit in Bewegung ist und die kritische Erschliessung der eigenen methodischen Begriffe in vielen Fällen erst beginnt, erweist sich etwa dort, wo aus gerade noch mythischen Begriffen des Fachs nun ‹kanonische› geworden sind. Dies lässt sich insbesondere an jenen Fällen ablesen, wo es Begriffe aus dem «Anti-Lexikon» der kritischen berichte von 2007 in die zweite Auflage des Metzler Lexikons geschafft haben. [7] So haben Begriffe wie «Struktur» oder «Gestalt» innerhalb kürzester Zeit Karriere gemacht und sich von Anti-Begriffen zu zentralen Forschungskategorien der Disziplin entwickelt. Aus solchen Forschungskonjunkturen ergeben sich im Gesamtbild des Lexikons jedoch auch merkwürdige Ungleichgewichtigkeiten, wenn nun etwa «Gestalt» und «Struktur» aufgenommen sind, jedoch der dazu komplementäre, gerade für das Verhältnis von Kunst und Bild zentrale Begriff der «Form» fehlt – hingegen die methodische Kategorie «Formanalyse» durchaus auftaucht.

Für das Verhältnis von Bild und Kunst fallen die programmatischsten Aussagen über das Fach in jenen Beiträgen, in denen es unter den Vorzeichen des Iconic Turn explizit um die Disziplinfrage geht, also etwa in den Einträgen zu «Bildwissenschaft», «Kunstgeschichte, Genese der Disziplin» oder «Naturwissenschaft und Kunst». Eine der wohl markantesten Äusserungen findet sich in Horst Bredekamps Eintrag zur «Bildwissenschaft», die als konstitutiver Teil der Kunstgeschichte begriffen wird: «Eine Bildwissenschaft, die sich von der Kunstgeschichte absetzt, läuft ... Gefahr, das Bildhafte der Bilder zu verfehlen. Eine Kunstgeschichte, die sich nicht als B. versteht, droht ihrerseits ihr kritisches Instrumentarium zu verlieren und ihre historische Aufgabenstellung zu schwächen.» (74).

Die Konsequenzen, die sich aus einem zentralen Verständnis der Bilder auch für die Bedeutung der Kunst innerhalb des Fachs ergeben, identifiziert Beat Wyss in seiner Sicht der «Kunstgeschichte, Genese der Disziplin» darin, dass es eine Zuspitzung geben könnte: «Gegenwärtig befindet sich das Fach in einer Phase der Neubestimmung zwischen interdisziplinärer Methodenvielfalt und der Betonung spezifischer Kompetenzen für alle Formen des Visuellen – darunter auch wieder verstärkt des Künstlerisch-Ästhetischen im engeren Sinne.» (246). Während hier eine Verengung des Spektrums angedeutet wird, macht der Beitrag Erna Fiorentinis zu «Naturwissenschaft und Kunst» klar, dass gerade in der «radikalen Historisierung» zur Kunst polarer Konstellationen das Potenzial liegt, dass «sich die Kunstwissenschaft auch selbst neu befragen...» (303) muss – und damit Theoriebildung und Selbstverständnis des Fachs aus der Aussensicht vorangetrieben werden.

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