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4. Das Missverständnis

Nach allem, was die Quellen über ihn berichten, lässt sich sagen: der merkwürdige, von Augustus konstruierte Konsens zwischen Kaiser und Senat interessierte Caligula, den «monströsen Kaiser», nicht. Vielleicht ist es auch mehr: Caligula verweigerte sich der Erfordernis der Maskerade. Aufgewachsen im Zentrum der kaiserlichen Familie und inmitten hellenistischer Klientelfürsten [58] gelangte er zu einer Interpretation des Principats, die diesem von Beginn an inhärent war: einer radikal absolutistischen Ausdeutung der Alleinherrschaft. Unter Caligula fielen die Masken. Die römische Elite schaute der Fratze des Selbstbetrugs erstmals unverstellt ins Gesicht. [59] In der Absage an jede republikanische Illusion, gewann auch der Kaiserkult eine neue, politische Dimension für den Kaiser selbst – er wurde zum vorrangigen Mittel der Selbstinszenierung.

Hier geht es nicht um die Frage, ob Caligula selbst glaubte, ein Gott zu sein; es geht auch nicht um die Frage, ob ihm seine forcierte Verehrung als Gott als probates Mittel erschien, die stadtrömische Aristokratie zu demütigen. Das mag alles sein, oder nicht. Der Schwerpunkt verschiebt sich. Eine absolutistische Interpretation des Principats verleiht dem Kaiserkult eine neue, tiefgreifend politische Bedeutung für das Selbstverständnis des Kaisers selbst als einzig mögliches Oberhaupt des römischen Reiches. Wenn die Herrschaft des Einzelnen in Person des Kaisers die einzig mögliche Option ist, dann ist seine Verehrung durch die unterworfenen Völker die einzig logische Konsequenz. In der Verabsolutierung seiner Herrschaft fordert der Kaiser eine Unbedingtheit ein, die sich nunmehr auch kultisch entäußern muss. In dieser Unbedingtheit, so scheint mir bei allen Unterschieden, ist eine seltsame Kongruenz des Anspruches von römischem Kaiser und dem Gott des Alten Testaments angelegt, die gleichermaßen politische und religiöse Zugehörigkeit verlangt.

Als Caligula im Alter von vierundzwanzig Jahren zum dritten römischen Kaiser ausgerufen wurde [60], stand Judäa seit knapp hundert Jahren unter römischer Vorherrschaft. Pompeius hatte im Jahr 63 v. Chr. die Integration Judäas ins römische Reich vollzogen, zu einem Zeitpunkt, da Rom noch eine Republik war. Diese Tatsache trug den römischen Machthabern auf jüdischer Seite einiges an Sympathien ein, weil sich das republikanische Modell deutlich vom verhassten hellenistischen Königtum unterschied. [61] Vereinfachend lässt sich sagen: aus jüdischer Sicht wurde der Allein-Geltungsanspruch Jhwhs durch die republikanische Verfassung nicht in Frage gestellt. Das war nun eine komplette Fehlinterpretation des römischen Herrschaftsanspruchs, der ebenso total war wie der des jüdischen Gottes.

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