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Torageltung und römisches Herrschaftsverständnis waren von Beginn an unvereinbar und letztlich waren es andere, politische Faktoren, – die innerrömischen Krise, die Installierung der Hasmonäer-Herrschaft über Judäa – die verhinderten, dass diese Unvereinbarkeit hundert Jahre lang nicht aufbrach. Ernst Baltrusch hat die strukturellen Missverständnisse zwischen Juden und Römern, die letztlich zur Katastrophe von 70 n. Chr. [62] führen sollten, folgendermaßen zusammengefasst: die jüdisch-römischen Konflikte «[…] gehen darauf zurück, dass 1. die jüdische Religion von allem Anfang an ein zutiefst politisches Phänomen war, dass ihre Ausbildung nicht so sehr eine ‹innere Angelegenheit› der Juden, sondern der Weg war, in einer Zeit ständiger Bedrohung von außen und der Fremdherrschaft Autonomie und Selbstbestimmung zu wahren und zu legitimieren; und dass 2. die römische Herrschaft trotz gewährter Religionsfreiheit gerade diesen politischen Charakter der jüdischen Religion in Frage stellte. Die römische Politik ging damit noch über die hellenistische hinaus, was die Entwertung der Religion um ihren politischen Faktor angeht.» [63]

Dies mag das Missverständnis beschreiben, das den römisch-jüdischen Beziehungen von Beginn an eingeschrieben war. Doch es sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die neue römische Herrschaftsform, das Principat – zumindest in seiner absolutistischen Ausdeutung – die Spannungen zwischen Juden und Römern eklatant verschärfen musste. Dies liegt im Alleingültigkeitsanspruch des Kaisers begründet, der – religiös und politisch – eine Verletzung des Jhwh-Glaubens darstellt. Von der Amalgamierung beider Aspekte im Kaiserkult war bereits die Rede und es ist kaum überraschend, dass es hier zu massiven Konflikten kommen musste. [64] Der Kaiser als Gott: das war die Verletzung des ersten Gebots. Die Verletzung des Bilderverbots folgte auf dem Fuß in Form einer Inflation von Kaiser-Bildern, die nun im öffentlichen Raum allgegenwärtig waren.

Die Juden, egal ob in Judäa oder in der Diaspora, teilten sich ihren Lebensraum mit Griechen, Römern und anderen Völkern, die ein vollkommen unbelastetes Verhältnis zum Kaiserkult hatten. Unter Augustus und Tiberius waren die Juden vom Kaiserkult gewissermaßen dispensiert, da man offensichtlich das Konfliktpotential erkannt hatte. [65] Dennoch fand der Kaiserkult auch Eingang in das jüdische Allerheiligste, den Tempel in Jerusalem, wo dem Wohl des Kaisers täglich geopfert wurde. [66] Das pagane Umfeld hingegen hatte im Kaiserkult ein probates Mittel gefunden, um seine jüdischen Mitbürger zu diskreditieren. [67] Apion wird bei Philo folgendermaßen zitiert: «Indem sich die Juden weigern, Kaiserstatuen aufzustellen, verachten sie das Kaisertum.» [68] Der Kaiserkult war nicht nur ein Verstoß gegen das Bilderverbot – er war eine externe Politisierung dieses Verbots: Rom- und Kaisertreue wurde ab nun im Feld der visuellen Semantik ausgehandelt.

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