>>

Das ist aus der Perspektive Caligulas nicht nur konsequent, es zeigt auch, dass der Kaiser sich der politischen Dimension der jüdischen Religion durchaus bewusst war: er antwortete nicht etwa militärisch, sondern eben religiös-politisch. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Kaiser an die Durchführbarkeit seines Befehls glaubte oder nicht, sondern einzig und allein darum, dass Caligula durch seine Reaktion die vermeintliche Vereinbarkeit von römischem Herrschaftsanspruch und Torageltung suspendierte.

Caligulas Statthalter Publius Petronius war sich von Beginn an der Brisanz des kaiserlichen Befehls bewusst und er tat alles, um seine Durchführung hinauszuzögern. [72] Das Bilderverbot, so sollte eingangs klar geworden sein, war ein zentrales, ein identitäts-stiftendes Moment in der Herausbildung des alttestamentlichen Monotheismus – Kapitulation in dieser Frage war für die Juden schlicht unvorstellbar, weil sie Hochverrat an ihrem Gott bedeutet hätte. Das Problem war, dass die Verweigerung des Befehls Hochverrat an Rom bedeutete. Doch die Juden hatten keinen Handlungsspielraum in dieser Frage und deshalb ist auch hier von logischer Konsequenz zu sprechen, wenn die Juden in den Verhandlungen mit Publius Petronius deutlich machten, dass sie einer Durchführung des Statuenbefehls auch mit Waffengewalt begegnen würden. [73] Die Ankündigung militärischen Widerstands musste gleichzeitig Caligulas Position zementieren: für den römischen Kaiser war es seinerseits einfach undenkbar, sich einem militärischen Drohszenario seiner unterworfenen Vasallen zu beugen. An diesem Punkt war eine friedliche Lösung des Konflikts unmöglich geworden, weil das Selbstverständnis beider Parteien in dieser Frage keinen Konsens zuließ; kurz: es konnte kein «bisschen Bild» des Kaisers im Tempel von Jerusalem geben.

Die Bilderfrage verlangte ausnahmslose Anerkennung oder absolute Ablehnung – zwischen totaler Affirmation und totaler Negation war nichts mehr möglich.

Dass es nicht zur Eskalation kam, hat einen simplen Grund: Caligula wurde ermordet [74] und sein Nachfolger Claudius, der seine Rolle als Kaiser in der gemäßigten Tradition des Augustus interpretierte, widerrief den Statuenbefehl seines Vorgängers. [75] Dennoch, die Zerrüttung des jüdisch-römischen Verhältnisses war irreduzibel: die Statuenaffäre war ein Wendepunkt, weil sie beiden Parteien – Juden wie Römern – die Unvereinbarkeit beider politisch-religiöser Systeme vor Augen führte. Es war letztlich die absolutistische Auslegung des Principats, die jene von Beginn an angelegte strukturelle Antinomie identifizierte.

<<  Ausgabe 04 | Seite 46  >>