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Trotz des theologischen Abgrunds, der zwischen Monotheismus und Polytheismus liegt, hatten jüdische und römische Religion eine Gemeinsamkeit: es waren intrinsisch politische Religionen. Das gilt für die römische Religion bereits in der Zeit der Republik. Der römische Staatskult sicherte die pax imperii und die römische Religionspolitik zielte darauf ab, die Konsensfähigkeit der Gesellschaft zu garantieren. In diesem Zusammenhang lässt sich vielleicht auch Ciceros Bemerkung verstehen: «Jedes Gemeinwesen hat, Laelius, seine eigene Religion, wir die unsere. Auch als Jerusalem noch stand [84] und die Juden in Frieden mit uns lebten, stand die Ausübung dieser kultischen Riten im Widerspruch zum Glanz dieses unseres Reiches, zur Gravität unseres Namens, zu den Einrichtungen der Vorfahren.» [85] Hier klingt ein römisches Herrschaftsverständnis an, das sich – durch den Willen der Götter begründet – als höhere Ordnung begreift und in Anerkennung dieser Ordnung von seinen Untertanen einen gewissen Konformismus fordert. Es ist offensichtlich, dass die für das Judentum so zentralen Bemühungen um Wahrung von Autonomie und Eigenständigkeit, die die politisch-religiöse Konzeption der jüdischen Religion einfordert, dem römischen Konformismus-Anspruch von Beginn an zuwider laufen mussten.

Weiter sollte deutlich geworden sein, dass die Etablierung der Alleinherrschaft in Rom, das Principat, und die damit einhergehende Ausbreitung des Kaiserkults maßgeblich an der krisenhaften Entwicklung der jüdisch-römischen Beziehungen beteiligt war. Der Kaiserkult stellte eine enorme Erweiterung der politischen Bedeutung der Religion dar: über ihn wurde Zugehörigkeit und Loyalität verhandelt und zwar «im Raum der Bilder» [86].

Der Kaiser als Gott, der Kaiser als Bild – beides stellte die jüdische Religion grundsätzlich in Frage. Die Zugehörigkeit zur jüdischen Religion definierte sich folgerichtig durch die Ablehnung dieser Unmöglichkeit und letztlich in der Apostasie von Rom. Der Zwang zur aktiven Abgrenzung war umso mehr gegeben, als dass der öffentliche Raum sich immer mehr auch visuell durch die Bilder des Kaisers, der wie ein Gott verehrt wurde, strukturierte – und der Verletzung von erstem und zweiten Gebot somit eine permanente Sichtbarkeit verliehen war. Die generelle Unvereinbarkeit des totalen Herrschaftsanspruchs eines Kaisers, der auch seine religiöse Verehrung forderte, und der jüdischen Religion, die eigentlich auch politisch nur Jhwh als einzigen Herrn Israels anerkennen konnte, wurde durch den Statuenbefehl Caligulas erstmals in der römisch-jüdischen Geschichte auf die Spitze getrieben. Es war ein religiös-politischer Konflikt; ein Bilderstreit, bei dem es um nichts weniger ging als die Behauptung der eigenen Identität beider Parteien. Die Durchführung des Statuenbefehls hätte die Ereignisse von 70 n. Chr. mit großer Wahrscheinlichkeit vorweggenommen. Es kann keine Verständigung geben, wo kein Verständnis ist.

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