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2. «Du sollst Dir kein Bildnis machen […]»

Ist das zweite Gebot die ikonoklastische Urszene? [9] Der Rückzug des menschlichen Geistes aus einer sich in Sichtbarkeit und Sinnlichkeit erschöpfenden Idolatrie? Die Rückkehr zum Erhabenen? Kant [10], Freud [11] und Adorno [12] legten – jeder auf seine Weise – das Bilderverbot in diesem Sinne aus. An dieser Stelle allerdings sei die identitätsstiftende Bedeutung dieses Gebots – im Bewusstsein seiner Modifizierung durch Bildpraktiken [13] – für den alttestamentlichen Monotheismus akzentuiert. [14] Der Dekalog und damit das 2. Gebot ist eine Radikalisierung des Ein-Gott-Glaubens. Dies gilt gerade für das Bilderverbot, auch weil es nicht verständlich ist ohne das ihm unmittelbar vorausgehende Gebot – das Viel-Götter-Verbot [15]. Der Dekalog beginnt mit einer beziehungsstiftenden Präambel: «Ich bin Jhwh, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten herausgeführt habe, dem Sklavenhaus.» [16] Hier werden nun religionsgeschichtlich derart neue Verhältnisse geschaffen, die es sich hervorzuheben lohnt: Es gibt keine Instanz mehr zwischen Gott und seinem Volk (König) [17] – es gibt ein Du in der Beziehung zu Gott – persönlich und ewig asymmetrisch zugleich. Das Ich des Gottes ist im Du verknüpft mit dem historischen Geschehen des Exodus, der nach Jhwhs Willen das Du befreit hat [18].

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