Tacitus, Historiae 5, 4, übers. von Joseph Borst, Düsseldorf 2002, S. 516-517.
Ex 3, 1-14.
Das alttestamentliche Bilderverbot ist also zu allererst ein Kultbildverbot. Und bringt damit den Jhwh-Glauben in eine unumkehrbare Distanz zur Kultbildpraxis paganer Religionen. Das Bilderverbot verankert die Einzigartigkeit des jüdischen Gottes auch im Visuellen und ist somit ein zentraler Aspekt dessen, was Jan Assmann als die «Mosaische Unterscheidung» [26] bezeichnet hat. [27]
Dass es vor allem die Verbindung von Ein-Gott-Glaube und Bilderverbot war, die als zentraler Unterschied aller sonst in der Antike gebräuchlicher Religionsvorstellungen galt, mögen die Zitate zweier paganer Autoren illustrieren. So schreibt Hekataios von Abdara in seiner Aegyptiaca bereits um 320 v. Chr.: «(4) Ein Bild der Götter machte er [Mose] überhaupt nicht für sie, weil er meinte, dass der Gott keine Menschengestalt habe, sondern Gott sei allein der Himmel, der die Erde umgebe, und Herr über alle.» [28] Und Tacitus hält über vierhundert Jahre später in seinem zu zweifelhafter Berühmtheit gelangten Juden-Exkurs [29] im 5. Buch der Historien fest: «[…] die Juden aber haben einen rein geistigen Gottesbegriff und kennen nur ein göttliches Wesen. Als gottlos betrachten sie jeden, der nach menschlichem Gleichnis Götterbilder aus irdischem Stoff gestaltet; das ihnen vorschwebende höchste, all Zeiten überdauernde Wesen ist nach ihrer Ansicht nicht darstellbar, auch keinem Untergang verfallen. Daher stellen sie in ihren Städten keine Götterbilder auf, erst recht nicht in ihren Tempeln.» [30]
Doch das Bilderverbot reicht über das Kultbild weit hinaus: in ihm behauptet sich jene apophatische Gottesidee, die den alttestamentlichen Monotheismus gleichsam kennzeichnet – der «Bruch des kohärenten Diskurses» [31], wie Levinas formuliert. Die Uneinholbarkeit Gottes im Medium der Sprache gründet sich in der Selbstoffenbarung eben jenes Gottes. Moses bittet Gott am Berg Horeb um einen Namen: «Siehe, wenn ich zu den Kindern Israels komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt, und sie mir sagen werden: Wie heißt sein Name? Was soll ich ihnen sagen?» [32] Im brennenden Dornbusch, dem sich ewig behauptenden Moment der Unmöglichkeit göttlicher Preisgabe in der Sichtbarkeit, erhält Moses die göttliche Preisgabe eines Namens: Jhwh; - יהוה. «Die angemessene Übersetzung dieser drei Worte wäre eine vollständige ‹Biblische Theologie›. ‹Ich bin, der ich bin›, ‹Ich werde sein, der ich sein werde›, ‹Ich werde mich erweisen als der, der ich bin›, ‹Ich bin für euch da als der, als der ich für euch da sein werde› - das sind nur einige der Übersetzungs- und Verstehensmöglichkeiten. […] Gott offenbart sich in seinem zeitlich offenen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenschließenden Sein als Dasein für Israel. Deutlich ist ebenso, dass diese Offenbarung auch eine Verhüllung, diese Antwort auch die Verweigerung einer Antwort ist.» [33]