>>

«Sokrates: Kann also wohl diese Kunst [technikos], immer bei wenigem durch Ähnlichkeiten von dem, was jedesmal wahr ist, abzuleiten und so zum Gegenteil hinzuführen oder sich selbst davor zu hüten, derjenige besitzen, der nicht erkannt hat, was jedes in Wahrheit ist?
Phaidros: Niemals.
Sokrates: Wer also die Wahrheit nicht weiß und nur Meinungen nachgejagt hat, der, lieber Freund, wird, wie es scheint, eine gar lächerliche und unkünstliche Redekunst zusammenbringen.
Phaidros: So wird es wohl sein.» [41]

Sokrates erkennt in dieser Lagerung schließlich auch das manipulative Potential der nachahmenden Kunst. Wenn sie so tut, als würde das, was sie darstellt, eigentlich anders sein, als es wahrhaft ist, dann hat sie nicht einfach Falsches erkannt, sondern sie führt ihre Betrachter ganz gezielt in die Irre. [42]

Was können Bilder, was dürfen Bilder? Ethik und Politik des Bildes

Nur wenn die nachahmende Kunst und ihre Bilder dies auch vermögen – nämlich ihre Betrachter zu manipulieren –, nur wenn ihre Wirkkraft als so einschlägig verstanden wird, erst dann macht es Sinn, dass Platon die Kunst regulieren will. So kann, wie im eben Gesagten dargelegt wurde, in den verschiedenen Dialogen Platons eine unterschiedliche Wertung des Potentials der Bilder und der Kunst abgelesen werden; diese unterschiedliche Wertung basiert aber ihrerseits auf der unterschwelligen Überzeugung, dass die Bilder Wirkungen hervorrufen, die bewertet und im Zweifelsfall reglementiert werden müssen. [43] Die niemals in Frage gestellte Wirkkraft ist es also, die den Streit um die Bilder bei Platon motiviert, der sich vom frühen Dialog Ion über die mittleren Dialoge Phaidros, Symposion und Politeia hin zu den späten Ausführungen in den Nomoi erstreckt.

Dass es diesen Dissens über die Bilder gibt und dass Platon keineswegs gleichmacherisch vorgeht, zeigt sich aber nicht nur in inhaltlicher Hinsicht bezüglich der unterschiedlichen Perspektiven, die er in den verschiedenen Dialogen einnimmt, sondern es wird nicht zuletzt auf einer methodischen Ebene evident. Die Dialogpartner begegnen sich bei Platon durchwegs in Streitgesprächen. Auch wenn die maieutische Vorgehensweise des Sokrates [44] an vielerlei Stellen suggerieren mag, dass er das Gespräch in seine Richtung lenkt, ist der strittige Gesprächscharakter [45] für die platonischen Dialoge doch irreduzibel. Der Streit vollzieht sich nicht des Streites, sondern der Sache wegen, denn nur im dialegesthai einer wechselseitigen Auseinandersetzung kann eine gemeinsame Einsicht gewonnen werden, [46] wobei dieses Erkennen, wie die Form sowie die Pluralität der Dialoge samt der selben immer wiederkehrenden Fragen selbst nahe legt, stets neu verhandelbar bleibt. [47]

<<  Ausgabe 04 | Seite 25  >>