Ein Blick auf die platonische Ästhetik zeigt darüber hinaus, dass die Fragen, die im Rahmen von Ereignissen wie der jährlichen World Press Photo Exhibition im Zeitgeschehen ihre Relevanz zu haben scheinen, keineswegs neu sind. Schon Platon hat sich gefragt, wie der Wirkung von Bildern beizukommen, wie mit ihr umzugehen ist, ohne sich dabei nur auf eine theoretische Beschreibung dessen zu beschränken, was Bilder sind oder tun. Seine Überlegungen sind von einem dezidiert praktischen Desiderat getragen und hierin keineswegs überkommen. Sie können auch nicht als normativ-limitativ und damit «ethisch» im Rancière’schen Sinne abgetan werden, laden sie doch gerade zu einer Auseinandersetzung darüber ein, was Bilder dürfen und sollen. Die Ethik der Bilder nach Platon entpuppt sich damit als lebendiges und vor allem als offenes Gespräch über die Möglichkeiten und die Grenzen, die sich durch die starke Wirkung von Bildern auftun, sowie darüber, wie mit diesen Möglichkeiten und Grenzen umgegangen werden kann. Anders als die World Press Photo Foundation kann sie sich in dieser Vorgehensweise gar nicht auf gesetzte normative Standards berufen, sondern muss ihrem Gegenstand – den Bildern und ihren Wirkungen – immer wieder neu nachzukommen versuchen.
Iris Laner ist zur Zeit Doktorandin im Fach Philosophie an der Universität Basel. Im Rahmen ihres Promotionsprojekts, das sich der Frage nach der Zeitstruktur von Bildern widmet, hat sie sich vor allem mit Themen der Ästhetik und Epistemologie im phänomenologischen und dekonstruktivistischen Umfeld beschäftigt.