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Jacques Rancière, Das Unbehagen in der Ästhetik, Wien 2007, S. 128.

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Ebd.

 

Die ethische Wende und das bereits Übereingekommen-sein

Eine Organisation wie die World Press Photo Foundation, die als Ziel die Etablierung einer öffentlich zugänglichen Plattform für die Durchsetzung von Frieden, Fortschritt und Humanismus verfolgt, kann als paradigmatischer Ausdruck einer Entwicklung gesehen werden, die von Jacques Rancière als «ethische Wende» bezeichnet wird.

Laut Rancière ging mit den vielfältigen politischen Programmen im Laufe des 20. Jahrhunderts eine Wende einher, die er als überaus problematisch betrachtet. Nachdem die verschiedenen revolutionären Bewegungen, die sich zunächst gegen monarchische, dann gegen diktatorische Systeme richteten und eine umfassende Demokratisierung der westlichen Welt anstrebten, das Ideal einer durchwegs konsensuell verfassten Politik verfolgen, geht für Rancière mit dieser Entwicklung eine Gleichmachung und damit eine stille Unterdrückung der heterogenen Bedürfnisse politischer Subjekte einher. Die Wende, die er als Ausdruck des politischen Denkens unserer Zeit betrachtet, nennt er «ethisch». Sie bewegt sich in entschiedenem Gegensatz zu dem, was er als «politisch» ansieht. Die «Ethik» leitet er von Ethos [6] her, das die Art und Weise beschreibt, wie jemand (innerhalb einer Gemeinschaft und an einem bestimmten Ort) sein Leben führt und führen soll: «Bevor das Wort Ethos Norm oder Moralität bedeutet, bedeutet es […] zwei Dinge: der Ethos ist der Aufenthalt und er ist die Seinsweise, die Lebensart, die diesem Aufenthalt entspricht. Die Ethik ist also das Denken, das die Identität zwischen einer Umwelt, einer Seinsweise und einem Tätigkeitsprinzip herstellt.» [7]

Rancière beunruhigt an der so verstandenen Ethik ihr normativ vereinheitlichender Zug, der eine Verschiedenheit von Meinungen auszuschließen scheint. Diese Wende schreibt den ethischen Subjekten vor, wie sie zu leben haben, ohne ihre Urteils- und Entscheidungsfähigkeit – die durchaus heterogene Urteile sowie Entscheidungen hervorbringen kann und somit dem Ideal eines einzig richtigen ethischen Imperativs widerspricht – in den ethischen Lebensentwurf miteinzubeziehen. «Die gegenwärtige ethische Wende ist die einzigartige Verbindung zweier Phänomene. Auf der einen Stelle tritt die Urteilsinstanz, die abschätzt und auswählt, vor der Macht des Gesetzes, das sich durchsetzt, zurück. Auf der anderen Seite fasst sich die Radikalität dieses Gesetzes, das keine Wahl lässt, in einen einfachen Sachzwang zusammen. Die wachsende ‹Ununterscheidung› von Tatsache und Gesetz gibt den Platz frei für eine noch nie dagewesene Dramaturgie des unendlich Bösen, der grenzenlosen Gerechtigkeit und der unendlichen Wiedergutmachung.» [8]

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