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Während das in der Natur seiende Bettgestell von Gott, der als Wesensbildner (phytourgos) bezeichnet wird, gemacht worden ist, spalten sich von diesem wahrhaft Seienden zwei Linien ab: zum einen die in Gestalt verschiedenen vom Tischler gefertigten Bettgestelle, der Sokrates als Werkbildner (dēmiourgos) gilt; zum anderen die vom Nachbildner gemalten Bettgestelle. Während sich die Werkbildner für die Fertigung ihrer Bettgestelle auf das wahrhaft seiende Bettgestell beziehen, haben die Nachbildner nur die bereits abkünftigen Formen der von den Werkbildnern geschaffenen Bettgestelle vor Augen und beziehen sich auf sie nur in der Weise ihrer Erscheinung (phantasma) und nicht auf ihre Wahrheit (aletheia). [24]

Platon differenziert in der Folge drei verschiedene Stufen von Kunstfertigkeit, von denen die nachbildende Kunst – und damit die Kunst im uns gebräuchlichen Sinne des Wortes – die unterste Stufe darstellt. Sie steht hinter der verfertigenden (poiēsousan) und der gebrauchenden (chrēsomenēn) Kunst zurück. [25] Dies liegt daran, dass der Nachbildner sich in der Nachbildung nicht damit auseinandersetzt, wie das Nachzubildende richtig gebraucht wird oder wie es adäquat hergestellt wird, sondern sich allein darauf konzentriert, wie es als schön erscheint. [26] Den nachbildenden Künstler treiben in seinem Tun also scheinbar allein Trug und Schatten der Erscheinungen, nicht aber wahre Kenntnis oder Einsicht in das Wesen der Dinge. Damit erweist sich die Unkenntnis, d.i. das mangelnde Erkenntnisvermögen der Nachbildner, als der Grund der Bilder. Die Nachbildner erkennen nicht, wie Dinge und Sachverhalte wahrhaft sind, weil sie weder den für diese Kenntnis notwendigen Umgang mit den Dingen pflegen, noch den für die Einsicht notwendigen Dialog mit den Wissenden suchen.

Da die mangelnde Kenntnis und Einsicht, die die Nachbildner treibt, durch ihre Werke an die Rezipierenden weitervermittelt wird, muss ihre Kunst auch abgelehnt werden. Denn, wie Sokrates festhält: «Selbst also schlecht und mit Schlechtem sich verbindend erzeugt die Nachbildnerei auch Schlechtes.» [27] Damit zeigt sich bei Platon ein enger Zusammenhang zwischen dem epistemologischen und dem ethischen Gehalt der Künste: [28] Die nachbildenden Künste sollen, um gut zu sein, die Sachverhalte so wiedergeben, wie sie wahrhaft sind – die Dinge ihrem Wesen nach, gute Handlungen als gute Handlungen, schlechte Handlungen als schlechte. [29] Ob ein Künstler die Sachverhalte ebenso darstellen kann, hängt davon ab, ob er sie überhaupt adäquat erkennen kann. Adäquate Erkenntnis weist also insofern bereits ethische Implikationen auf. In ethischer Hinsicht gut ist das als gut und recht erkannte und in dieser Weise dargestellte Handeln. Im zehnten Buch der Politeia muss Platon so den Ort der Bilder aufgrund der mangelnden Einsicht der Maler und Dichter auch außerhalb des von ihm projektierten guten Staates ansiedeln: «Daß wir auf keine Weise [in unseren Staat] aufnehmen, was an derselben [der Dichtkunst, Anm. IL] darstellend ist.» [30]

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