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Zu gute Zahlen: Wissenschaft als Kritik und Konsens

Der Sache nach ging der Streit um ein statistisches Auswertungsverfahren, nämlich ob aufgrund ihrer Aussagekraft vorselektierte Daten ihrerseits wieder zur Berechnung eines Signifikanzniveaus herangezogen werden dürfen. Vul und einem Mitstudenten waren hohe Korrelationen aufgefallen, die auf einem so komplexen Gebiet wie bei den Beziehungen zwischen neuronalen Aktivierungsmustern und sozialen Gefühlen allein schon aufgrund der zahlreichen involvierten Faktoren sehr unwahrscheinlich erscheinen mussten. Selbstverständlich muss hierbei ein publication bias in Rechnung gestellt werden, [7] dass in wissenschaftlichen Publikationen insbesondere Studien mit guten Ergebnissen zur Veröffentlichung gelangen, also in diesem Fall besonders hohe Korrelationen zwischen einer streng lokalisierten Hirnaktivitätssteigerung und spezifischen Profilen in gängigen Testverfahren für Emotionalität, Persönlichkeit oder soziale Wahrnehmung berichtet werden. Aber auch trotz publication bias sollten doch die Zuverlässigkeitswerte der Studien insgesamt nicht höher liegen als die Werte für die einzelnen eingesetzten Komponenten.

Wie ließ sich dann aber erklären, dass diese Korrelationen oft sogar höher ausfielen als die Zuverlässigkeitswerte für die funktionelle Bildgebung einerseits und psychologische Tests andererseits? Deshalb hatten die Autoren bei einem Sample von mehr als fünfzig einschlägigen Publikationen auf dem Feld der Social Neurosciences jeweils sorgfältig die Angaben zum methodischen Vorgehen studiert und anschließend die entsprechenden Arbeitsgruppen angeschrieben und um Erläuterungen zu ihrem Vorgehen gebeten, insbesondere zur zweistufigen Datenanalyse mit einer Vorauswahl der «areas of interest». Allein schon durch diese Kontaktaufnahme war also praktisch das gesamte Feld dafür alarmiert worden, dass demnächst eine methodenkritische Arbeit publiziert würde – und der Coup gelang dank dieser Sensibilisierung entsprechend umso perfekter. Es ist deshalb besonders bemerkenswert, dass sich der Streit nach dem ersten Aufbrausen erstaunlich rasch zu einem Sturm im Wasserglas des Wissenschaftsjournalismus verflüchtigte.

Heute, mehr als drei Jahre später wirken die Social Neurosciences keineswegs in ihrer wissenschaftlichen Dignität angefeindet, vielmehr haben sie ihre Position weiter gefestigt, die Stimmen der Critical Neuroscience gehören mittlerweile zum Konzert und werden als wichtige Inspirationsquellen neuer Forschungsstrategien geschätzt. Das schnelle Abflauen des Streits lag paradoxer Weise auch daran, dass hinreichend viele Verantwortliche schnell mit skeptischem Kopfnicken der Stimme wissenschaftlicher Selbstkritik Gewicht gaben;

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