>>
 

Er weist auf den in sich verschlungenen oder verschachtelten Charakter der Darstellung insgesamt, bei dem ein Teil der Linien keinem Dargestellten klar zuzuordnen ist.

Die Suche nach einem Einstieg ins Bild findet diesmal keinen rechten Ansatzpunkt. Eine Möglichkeit wäre die linke Hand der linken Figur, aber sie ist zu wenig bestimmt und führt auch nirgends hin; das Hauptgeschehen spielt sich in der Mitte des Blattes ab, aber zu ihm findet man keinen unmittelbaren Zugang; die beiden Köpfe sind die Hauptträger der Darstellung, scheinen aber eher ein späterer Ruhe – als ein Einstiegspunkt. Es bleibt nur, an irgendeiner dieser Stellen ins Bild einzusteigen und es von dort her aufzubauen. Die Vorstellung einer folgerichtigen Interpretation wird man dabei aufgeben müssen, da eine solche zwingende oder zumindest plausibel überzeugende Folge nicht erkennbar ist. Dennoch kann man auch hier von einem Rhythmus reden, einem Rhythmus aber, der nicht auf die gleiche stringente Weise vollzogen werden kann wie beim ersten Beispiel. Er ist bestimmt von einer großen Ruhe, die dem melancholischen Grundzug des Bildes entspricht. Selbst schnelle Bewegungen werden durch diesen Zug in Schach gehalten und gedämpft.

Intern aber ist das rhythmische Geschehen alles andere als gleichmäßig. Die am klarsten den Figuren zuzuordnenden und auch in ihrem Verlauf unproblematischsten Linien finden sich außen an der Doppelfigur. Sie können in einem ruhigen gestischen Verlauf nachvollzogen werden, werden aber schließlich unvermeidlich mit nicht Assimilierbarem konfrontiert, das ihnen entgegensteht, namentlich die vage rechteckige, nach oben offene Form in der Mitte, die rätselhaft bleibt und jede Kontinuität subvertiert. So stößt die Außenlinie der rechten Figur auf eine in ihren Hals ragende Fläche, die nicht zuzuordnen ist, und der Blick vollzieht einen Umschlag von der Linie zur Fläche. Der Versuch, dieser zu folgen, findet sich wiederum zurück zur Linie gezwungen, weil die Fläche sich nach unten hin auflöst. Fährt man nachholend ihre Begrenzungslinie zurück nach oben, wird man in den Verlauf der Rechteckform verwickelt, die aber schließlich nach einigen Wendungen auch im Nichts endet und den Blick zurück in die Fläche zwingt. Diese nach oben verfolgend stößt man auf den Arm, der von einer Linie durchschnitten wird, die oben noch seine eigene Begrenzungslinie war, nun ihre darstellende Funktion verliert und den Betrachter in die Ratlosigkeit entlässt.

Auf diese Weise wird man durch das Bild geschickt auf einem Weg, der immer wieder aus- und neu ansetzt, der umschlägt zwischen Linie und Fläche und zwischen Figürlichem und rein Linearem, ins Leere läuft oder auf harte Barrieren stößt. Es ist ganz offensichtlich, dass sich all dies einer Überschau nicht erschließt, ja dass der Gesamteindruck von großer Ruhe in eine ganz andere Richtung weist.

<<  Ausgabe 05 | Seite 160  >>