>>

Die Unterscheidung von Ding und Werk lässt sich einreihen in eine ganze Reihe ähnlicher Differenzierungen – Ding und Zeichen, Materialität und Sinn, Bildträger und Bildobjekt, Erde und Welt –, die nicht deckungsgleich sind, aber offenbar auf etwas Ähnliches abzielen. Sie alle haben einen je unterschiedlichen Problemhorizont, der eine ausführlichere Behandlung verlangt. Da diese hier nicht geleistet werden kann, werde ich im Folgenden scheinbar unproblematisch vom Bild als demjenigen sprechen, dem Zeitlichkeit und Rhythmizität zukommen.

Offensichtlich ist dabei, dass diese Rede ohne einen Verweis auf die Rezeption keinen rechten Sinn hat: Die Zeitlichkeit des Bildes zeigt sich in seinem Anschauen. Dennoch geht es an der Sache vorbei, diese Zeitlichkeit allein der Betrachtung zuzuschlagen und das Bild davon auszunehmen, und insofern möchte ich von Realisierung statt von Rezeption oder gar Wirkung sprechen. [8] In diesem Sinne noch einmal Boehm: «Mit einem rezeptionsästhetischen Theorem hat dieser Hinweis nichts zu tun. Die Erfahrungsform schließt einen jeweils angemessenen Gebrauch der Sinne ein: adäquat gegenüber Medium (Bild, Plastik, Architektur) und Material.» [9]

Allerdings muss man hier aufpassen: So leicht lässt sich die konkrete Rezeption mit ihren Unwägbarkeiten nicht austreiben oder im Hinblick auf eine adäquate, sozusagen reine Realisierung von der subjektiven und situativen Verschmutzung befreien. Aber auch dies ist eine weitergehende Diskussion, auf die hier nur en passant hingewiesen werden kann. Wenn man, mit Dewey gesprochen, die Kunst als Erfahrung beschreibt, so muss sich diese Beschreibung in ihrer Plausibilität und Produktivität bewähren, und es ist hier leichter, auf offensichtliche Inadäquatheit hinzuweisen als zweifelsfreie Adäquatheit herzustellen.

Die Kategorie, die dabei zugrunde gelegt werden kann, ist die des «Zeitobjekts», die Edmund Husserl 1905 formuliert hat. Husserl unterscheidet verschiedene Weisen, in der Zeit zu sein: Gegenstände sind insofern zeitlich, als sie dem allgemeinen Werden und Vergehen unterworfen sind, und ihre Wahrnehmung braucht Zeit, wodurch ihr Modus des Erscheinens wesentlich zeitlich ist. Es gibt aber noch eine dritte Form der Zeitlichkeit, nämlich diejenige von «Objekte[n], die nicht nur Einheiten in der Zeit sind, sondern die Zeitextension auch in sich enthalten» [10] – Zeitobjekte. Seine Beispiele bezieht er dabei aus der Musik, für die diese Form der Zeitlichkeit offensichtlich konstitutiv ist, während ihr die innerzeitliche Dinglichkeit gerade fehlt. Wenn wir nun die oben skizzierte Perspektive auf das am Bild einnehmen, was nicht in seiner materiellen Dinglichkeit aufgeht, so können wir auch Bilder als Zeitobjekte beschreiben.

<<  Ausgabe 05 | Seite 151  >>