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Man könnte sagen, dass Bilder als räumliche immer auch zeitlich sind, während Musikstücke als zeitliche immer auch räumlich sind: Das Vorliegen der bildlichen Konstellation in der Fläche ist auf ein realisierendes Durchlaufen angewiesen, während die unwiderruflich ablaufende Musik auf eine teilweise verräumlichende Auffassung angewiesen ist, vermittels derer sie über das bloße Nacheinander hinaus als Form konstituiert wird.

Der entscheidende Punkt, der Zeitobjekte von bloßen Gegenständen unterscheidet, ist die Form ihrer Einheit, und hier unterscheiden sich Bilder letztlich nicht von Musikstücken. Zwar steht die Totale als Betrachtungsressource jederzeit zur Verfügung, aber sie ist nicht gleichbedeutend mit einer totalen, also vollständigen Auffassung. Eher ist sie ein Vorgriff auf die konkrete Entfaltung der innerbildlichen Bezüge, der angereichert werden kann und auf den man immer wieder zurückkommen kann, der es aber nie zur realisierten Fülle bringt. Die Realisierung des Bildes endet nicht in einem realisierten Bild, und insofern liegt das Bild als solches niemals vor. Anders als bei der Musik ist dem Durchlaufen zwar durch die bildlichen Strukturen eine Richtung und ein Verlauf nahegelegt, aber nicht vorgeschrieben, und es kann – und muss – immer wieder von neuem ansetzen. Insofern die Zeitlichkeit so nicht den eingeschränkten Möglichkeiten der Betrachter geschuldet und auch kein Zwischenstadium im Prozess einer vollständigen Realisierung ist, muss sie als konstitutiv für das Bild als solches gelten. Unter genau dieser Voraussetzung lässt sich für Bilder von einem inneren Rhythmus sprechen, der sich nicht im regelmäßigen Nebeneinander sofort erkennbarer Strukturmerkmale erschöpft.

2.

Wendet man sich von hier aus musikalischen Rhythmustheorien zu, von denen eine detailliertere theoretische Ausarbeitung zu erwarten ist, so erlebt man eine Überraschung: Gerade hier ist vielfach von Zeitlichkeit im Sinne einer konstitutiven Prozesshaftigkeit nicht viel zu spüren. Die Beschreibung und Analyse rhythmischer Verhältnisse steht ganz im Zeichen des Takts und des Metrums, also der scheinbar vorgegebenen regelmäßigen Einteilung der musikalischen Zeit. Von hier aus lässt sich Rhythmus als Verhältnis gegebener Proportionen betrachten, also mit räumlichen Kategorien. Verantwortlich ist dafür eine Fixierung auf die Partitur, die eine im Prinzip zeitlose Überschaubarkeit suggeriert – also eben das, was hier in Bezug auf Bildlichkeit zurückgewiesen werden soll.

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