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Auch entsteht mit der Veröffentlichung des Notizbuches eines Denkers eine gewisse Spannung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen – eine Spannung, die auf der dOCUMENTA (13) durch das Programm des allabendlichen Readers’ Circle noch einmal verdoppelt wurde: Der Kreis des Recherchierens-Aufschreibens-Lesens wurde hier damit geschlossen, dass der ansonsten wohl eher nicht-öffentliche, intime Akt des Lesens in diesen Veranstaltungen externalisiert wurde, indem jedes Heft der Reihe der Anlass für eine einmalige, performative Rezitation oder anderweitig konzeptuelle Reaktion war. So generierten die Notebooks neue Artikulationen, Remixe und Subversionen innerhalb der altbewährten Kunsthalle Fridericianum (im Gegensatz zum Ständehaus, wo die Keynote-Vorträge gehalten wurden). Durch diese Art der Planung konnte das Publikationsprojekt von der Objekthaftigkeit in den Bereich des Zeitlichen überwechseln, wodurch es nicht nur seine eigene Dimension der Performativität und des Displays betonte, sondern auch das Editorische, Kuratorische und Künstlerische auf elegante Weise ineinander verwob.

Während verhältnismässig neue Medien wie das Internet und elektronische Publikationsformen die Verlagswelt im Allgemeinen zu einem neuen Selbstverständnis herausfordern, steht die Kunst weiterhin in einem entspannten Verhältnis mit ihrer «Entmaterialisierung» – hier findet das Buch als bewusst gewählte Materie seine wahre, ästhetisch-konzeptuelle Berufung. Insbesondere seit in den 1960er und 1970er Jahren immer mehr buchkünstlerische Arbeiten entstanden sind, bietet das «Buch-als-Ausstellung» ein natürlich-kollaboratives Umfeld für Autoren, Künstler, Designer, Redakteure, Kuratoren und Verleger.

Es gewährt nicht nur im Sinne von Ulises Carrións konventionellem, «alten Buch» Raum für Informationen, sondern das Buch hat sich in grossen Zügen gerade auch als eine Maschine für radikale Experimente mit Produktion, Präsentation und Distribution erwiesen und für das Spielen mit Autorschaft und dem Kuratorischen viele Rollenverschiebungen und -verwebungen ermöglicht. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit haben die hier vorgestellten Volumina allerdings lediglich einen Ausschnitt des unbändigen Potentials der zwischen solchen Umschlägen liegenden Räume offenbart.

Der vorliegende Essay wurde zuerst in englischer Sprache veröffentlicht als «Volumes: The Book as Exhibition» im kanadischen C Magazine, Issue 116, 12/2012, S. 36-44.

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