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[50]

Jacques Derrida, Bernard Stiegler, Echographien, Wien 2006.

[51]

Ebd., S. 155.

[52]

Ebd., S. 58.

[53]

Ebd., S. 57.

[54]

Denn wenn man aktuelle Serien nicht ein Jahr später schauen möchte, bleibt nur die Wahl der illegalen Downloads. p>

[55]

Ebd., S. 102.

 

Vor fast zwanzig Jahren äusserte Jacques Derrida in einem Gespräch mit Bernard Stiegler einige Utopien in Bezug auf ARTE und den Möglichkeiten der Deterritorialisierung des Fernsehens. [50] Er lobt den Sender nicht nur wegen seiner «relativen Unabhängigkeit vom Markt», sondern vor allem wegen seiner Bilingualität und Bikulturalität. [51] Denn das Fernsehen und seine nicht-territorialen Bilder trugen damals für Derrida das Versprechen in sich, die Territoritalität der Staaten zu überwinden. [52] Vor dem Hintergrund einer damals aktuell geführten Debatte, ob staatliche Instanzen die Öffnung der öffentlich-rechtlichen Sender auf den globalen einschränken sollten, affirmierte Derrida zumindest teilweise die «weltweite Zirkulation der televisuellen Waren». [53] Denn diese Konkurrenz und nicht die Einschränkung der Konkurrenz ermögliche es dem Zuschauer «wählerisch zu werden» und bessere Produktionen vorzuziehen und durchzusetzen.

Nun kann man sich tatsächlich fragen, ob die Entwicklungen des TV gerade durch diese Selektion des Publikums in den letzten zwanzig Jahren schliesslich zum heutigen «Qualitätsfernsehen» geführt hat, obschon – oder trotz der Tatsache dass – der Markt die internationale Distribution stark reglementiert. [54] Denn durch das Internet wäre ja eine globale simultane Ausstrahlung möglich, profitorientierte Interessen verhindern jedoch scheinbar die Überwindung des nationalstaatlich orientierten Broadcast- und Kabelfernsehens. Scheinbar jedoch nur deshalb, weil die Tendenzen des Medienmarktes derzeit nicht wirklich abzusehen sind, da die Praktiken der einzelnen Sender zu unterschiedlich sind. Einige stellen ihre Produktionen frei im Netz zur Verfügung oder verzichten auf Zahlungen für Rechte. Man müsste also die Zukunft «kommen lassen» [55], sie bleibt eben so unbestimmt, wie in der Relationstheorie Heisenbergs.

Michaela Wünsch ist derzeit Marie-Curie Outgoing Fellow an der University of California Riverside in Kooperation mit der Universität Potsdam und arbeitet an einem Forschungsprojekt zu Wiederholung und Serialität in Psychoanalyse und Fernsehen. Sie hat 2008 im Fach Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin promoviert und war seitdem Post-Doc an der Jan-van-Eck-Academie Maastricht, dem Institute for Cultural Inquiry Berlin und Gastprofessorin an der Universität Wien. Jüngste Publikationen: Angst. Lektüren zu Lacans Seminar X. Wien/Berlin 2012 (Hg.); Die Stimme als Objekt des Unheimlichen, der Angst und der Furcht, in: Y – Revue für Psychonalyse 2, 2012; Serialität aus medienphilosophischer Perspektive, in: Thomas Morsch (Hg.), Genre und Serie, München 2013.

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