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In Boiler Room verlieren zwei Börsenhändler auf Betreiben der SEC ihre Lizenz. Als sie diese wiederbekommen, spendiert ihr Vorgesetzter ihnen die Dienste zweier Prostituierter, die sich die beiden Broker teilen, während ihre Kollegen zusehen und sie anfeuern. Der Besuch von Strip-Clubs wird nur in einem der mir bekannten Filme in Frage gestellt: In The Associate (USA 1996, deutsch: Wer ist Mr. Cutty?) weigert sich die Protagonistin, Geschäftsangelegenheiten in einem Strip-Club zu diskutieren. Dies wird als ein Verstoss gegen die etablierte Geschäftspraxis gesehen, der dazu führt, dass sie bei der nächsten Beförderungsrunde übergangen wird.

Die starke Betonung von Sexualität, Körperlichkeit und Lust widerspricht auf den ersten Blick dem Bild der Finanzökonomie, die gemeinhin als die Sphäre wahrgenommen wird, in der der Idealtyp des Homo oeconomicus anzutreffen ist. Dessen vornehmliche Eigenschaft ist eine kalte Rationalität und er sucht den ökonomischen Vorteil bedingungslos, emotionslos und kalkulierend. «Never get emotional about stock» lautet dementsprechend die erste Lektion von Gordon Gekko, dem mephistotelischen Mentor von Bud Fox in Wall Street. Nach Gordon Gekko, dem vielleicht rücksichtslosesten aller filmischen Finanzbösewichte, hat ein Broker den Regeln des chinesischen Militärstrategen Sun Tzus (544 – 496 v. Chr.) zu entsprechen, dem die Autorenschaft des Strategiebuches Die Kunst des Krieges zugeschrieben wird. Sein Verhalten hat demgemäss rational, diszipliniert, berechnend, selbstreflexiv analytisch und selbstkontrolliert zu sein.

Ich will im Folgenden den Versuch unternehmen, diesen Widerspruch von Rationalität und Sexualität zu interpretieren. Dabei gehe ich davon aus, dass die Betonung sexueller Zirkulation nicht nur einfach darauf abzielt, die Filme attraktiver zu machen, sondern dass gerade das identifizierbare, sich wiederholende Muster sexueller Aktivitäten in Verbindung mit der Finanzökonomie einen semantischen Gehalt impliziert. Die Frage, der ich nachgehe, zielt auf das Bild der Finanzökonomie, das durch Verwendung von Bildern und Narrationen gezeichnet wird, in denen es um die beschriebenen Formen von Sexualität geht. Dazu werde ich den Widerspruch von Rationalität und Leidenschaft so reformulieren, dass sie sich in Batailles Unterscheidung von Homogenität und Heterogenität ausdrücken lässt.

Die These, die ich dabei verfolge ist, dass die Darstellung der Sexualität in den Filmen über die Finanzökonomie auf eine Gefährdung konventioneller, bürgerlicher Ideale und Wertvorstellungen verweist. Mit Bataille gesprochen, bedroht die Finanzökonomie die soziale Homogenität aufgrund einer ihr inhärenten Heterogenität. Die Finanzökonomie ist aus dieser Perspektive nicht nur der Ort, an dem die Rationalität des Homo oeconomicus ihre reinste Ausprägung findet, sondern sie ist auch der Ort, an dem sich diese Rationalität in ihr Gegenteil verkehrt.

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